Der König der Lügen
nahm ich ein Taschentuch und wischte die Waffe ab. Ich klappte die Trommel noch einmal zur Seite und rieb über den Mechanismus. Ich zog jede einzelne Patrone heraus und putzte auch sie. Ich hatte Leute auf dem elektrischen Stuhl landen sehen, weil sie es vergessen hatten. Dann lud ich den Revolver wieder und wickelte ihn in das Taschentuch.
Wenn die Cops die Waffe bei mir fänden, wäre Jean aus dem Schneider. Damit hätte ich wenigstens etwas erreicht, aber es war nicht genug. Noch nicht.
Ich sah mich ein letztes Mal an diesem elenden Ort um, dann wandte ich ihm den Rücken zu. Ich rechnete damit, irgendetwas zu fühlen, als ich wegging, doch da war nichts, nur das Echo meiner Schritte, die mich zurück in die frische Luft brachten, zurück zum Mond, in dessen Licht die Welt mehr zu sein schien, als sie war. Und in seinem silbrigen Glanz zwischen hohen Böschungen, die wie Wände waren, wollte ich auf die Knie fallen und so etwas wie ein Dankgebet sprechen, aber ich tat es nicht. Stattdessen kletterte ich durch das Dornengestrüpp hinauf, bis ich oben über dem Tunnel stand und die Stimme des Wassers ein Wispern war, das ich kaum hören konnte.
EINUNDZWANZIG
S o weit war es also gekommen. Ich hielt die Mordwaffe in der Hand, ein nachträglicher Komplize. Ich war schmutzig, nass und blutig, und ich hatte Angst, die Polizei könnte mich finden, bevor ich getan hatte, was ich tun musste. Es war kein guter Ort für mich. Ich wurde zwar noch nicht gesucht, aber ich konnte die Schlinge schon spüren, und ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war. Fünf Tage waren vergangen, seit man den Leichnam meines Vaters gefunden hatte, ein ganzes Leben, in dem ich ein paar Dinge über das Leben gelernt hatte, lauter Dinge, die der alte Mann mir hätte beibringen müssen. Er hatte immer gesagt, jeder habe seine Schlangen zu töten, und ich hatte gedacht, ich wüsste, was er meinte. Doch man konnte seine Schlangen nicht töten, ohne die Augen zu öffnen und sie anzusehen, und diese Wahrheit hatte er vergessen zu erwähnen.
Ich stand allein auf der Brücke, fünf Meilen außerhalb der Stadt. Die Sonne ging auf, und ich hörte den Fluss. Sein Rauschen klang entschlossen, und ich beugte mich über das Geländer, als könnte ich an seiner Kraft teilhaben. Meine Finger betasteten den Revolver, wobei ich an Jean dachte und daran, wie es für sie gewesen sein musste abzudrücken, wegzugehen und zu versuchen, ihr Leben weiterzuführen. Endlich verstand ich ihre Selbstmordversuche und wünschte, ich könnte es ihr sagen. Denn auf meine eigene Art war ich den gleichen traurigen Weg gegangen. Was mir bis dahin wahnsinnig erschienen war, ergab jetzt klaren Sinn. Vergessen. Erlösung. Ich spürte sie, die Verführungskraft, die zarte Barmherzigkeit, die diese Worte verkörperten. Was hatte ich schließlich zu verlieren? Eine Karriere, an der mir etwas lag? Eine Familie? Die Liebe einer Frau, die ich liebte?
Nur die unerträgliche Nähe Vanessas und die Überzeugung, dass daraus etwas Großes hätte werden können.
Wenn ich überhaupt etwas hatte, dann war es Jean. Sie war alles, was von meiner Familie übrig war, und nur insofern konnte ich ihr etwas Gutes tun. Wenn ich mich umbrachte, hier, mit diesem Revolver, würde man mir die Schuld an Ezras Tod geben. Fall abgeschlossen. Vielleicht könnte sie dann so etwas wie Frieden finden. Salisbury verlassen und irgendwohin gehen, wo die Geister der verlorenen Lieben andere plagten, aber nicht sie. Ich wünschte, ich könnte das Gleiche mit Vanessa tun.
Aber das würde niemals geschehen. Sie war auf ihrem Weg weitergegangen, und das zu Recht. Also zum Teufel damit. Eine Sekunde Mut.
Ich spannte den Hahn, und das Geräusch hatte etwas Endgültiges.
War ich hergekommen, um das zu tun? Nein. Ich war hier, um die Mordwaffe wegzuwerfen und dafür zu sorgen, dass sie nie gefunden und gegen Jean verwendet werden konnte. Aber der Gedanke, ein Ende zu machen, fühlte sich richtig an. Ein kurzer Augenblick, ein blitzartiger Schmerz vielleicht, und Jean wäre von allem befreit. Mills hätte ihr Pfund Fleisch, und mein Leben hätte am Ende doch noch irgendeinen Zweck erfüllt.
Ich starrte über den Fluss hinaus und beobachtete, wie das neue Licht den Dunst auf dem Wasser berührte und ihm Tiefe gab. Der goldene Rand der Sonne erschien über den Bäumen, zum letzten Mal für mich, dann schien sie in den Himmel zu springen. Die Welt erstrahlte in nackter Klarheit, und ich sah so viel davon: die
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