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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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grünen Felder, die dunklen Bäume und den Fluss, die schlammige Schlange, die dampfte, als würde auch sie verzehrt.
    Ich drückte mir die Mündung unter das Kinn und suchte die Kraft zum Abdrücken, suchte sie in einer Woge von Gesichtern. Sah meine Mutter, als sie den Boden unter den Füßen verlor. Sah Jean, am Boden zerstört, wie sie mich verfluchte, weil ich Ezras Wahrheit zu meiner eigenen gemacht hatte. Ich sah ihr Gesicht bei der Beerdigung, ihren Abscheu, als ich versuchte, ihre Hand zu nehmen. Dann Vanessa, bewusstlos geschlagen und gefickt wie ein Tier im stinkenden Schlamm. Und eine Scham, so absolut, dass sie mich noch jetzt vergiftete. Sie hatte Vanessa vertrieben, und ich hatte es zugelassen. Das war das Schlimmste, und in einer Explosion von entschlossenem Selbsthass fand ich die Kraft, die ich suchte. Der Abzug bewegte sich unter einem Finger, der zu brennen schien, der Lauf presste sich so hart unter mein Kinn, dass er mir den Kopf hochdrückte. Ich öffnete die Augen, um noch einmal in den Himmel zu schauen. Er wölbte sich über mir wie die Hand Gottes, und mitten darin schwebte ein einzelner Falke, bewegungslos und mit ausgebreiteten Schwingen. Er verharrte dort oben, aber ihm lag nichts an mir. Er kreiste weiter, und ich beobachtete ihn. Dann stieß er einen Schrei aus und flog davon, und ich wusste, dass ich nicht abdrücken konnte.
    Der Revolver drehte sich weg und hing an meinem Finger, und in der Stille kamen endlich die Tränen. Brennend rollten sie über meine Wangen, fielen mir in den Schoß; ohne aufzublicken, ließ ich die Waffe in den Fluss fallen. Mit zuckenden Schultern sank ich auf die Knie und legte die Stirn an das kalte Metall des Brückengeländers. Anfangs weinte ich um die Erinnerungen und mein Versagen, um alles, was hätte sein sollen und nicht war, aber als die Sekunden am mir vorbeiglitten, brachten sie eine große und schreckliche Wahrheit mit. Ich war am Leben, und ich weinte um dieses Leben. Es war alles, was ich noch hatte, daher kamen die Tränen seinetwegen. Nicht des Glücks wegen, sondern wegen des Daseins, wegen des Atems, der noch jetzt in meiner Lunge brannte, und wegen der vielen Male, an denen ich in den Himmel schauen und mich daran erinnern würde.
    Und so verließ ich den Fluss. Ich fühlte neue Kraft, eine Entschlossenheit — etwas, das sich anfühlte wie Hoffnung. Als ich wegfuhr, begriff ich, was passiert war. Ich war noch einmal ganz unten aufgeschlagen, aber diesmal war ich wieder hochgeschnellt. Ich lebte noch, nicht weil mir der Mut gefehlt hatte, sondern weil ich ihn plötzlich gefunden hatte. Ich hätte abdrücken können, doch ich hatte es nicht getan. Warum nicht? Weil das Leben nicht vollkommen war und niemals sein würde. Max hatte recht damit.
    Ich fuhr nach Hause. Unten an der Einfahrt hielt ich an und warf einen Blick in den Briefkasten. Das Foto von Alex, das ich für Hank dagelassen hatte, war weg, also musste er irgendwann hier gewesen sein. In gewisser Weise war ich froh, dass ich ihn verpasst hatte; ich hatte das Misstrauen in seiner Stimme gehört und hätte es nicht ertragen, es in seinem Blick zu sehen. Später vielleicht, doch jetzt war ich ausgehöhlt.
    Erschöpfung senkte sich auf mich, als ich die Küche betrat. Ich bekam kaum noch die Gummistiefel herunter, und ich spürte, dass das Haus leer war. Nicht, dass ich etwas anderes erwartet hätte. Ich wollte etwas essen, und ich brauchte einen Kaffee, aber der Stuhl war zu bequem. Also blieb ich an dem kleinen Schreibtisch sitzen, an dem Barbara so viel Zeit damit verbrachte, ihre Notizen zu schreiben und mit ihren Freundinnen zu telefonieren. Ihr Duft und das geübte Lachen leisen Amüsements waren fast spürbar anwesend. Ich legte die Füße auf den Tisch. Meine Hose war feucht und schmutzig vom Schlamm, und ich verschmierte damit Barbaras Schreibpapier. So saß ich geraume Zeit da und starrte auf das blinkende rote Auge des Anrufbeantworters. Schließlich drückte ich auf die Taste, und die mechanische Stimme informierte mich, dass ich siebzehn Nachrichten hatte.
    Dreizehn waren von Reportern. Ich löschte sie. Eine war von Hank, der bestätigte, dass er das Foto abgeholt hatte, und drei waren von Barbara. Die erste klang freundlich, die zweite höflich. Aber bei der dritten war sie wütend. Sie schrie nicht, doch ich kannte diesen beherrschten, knappen Tonfall. Wo war ich? Das war die Frage, und ich wusste, was sie dachte. Ich war bei Vanessa.
    Ich löschte auch ihre Anrufe

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