Der König der Lügen
einem Drink.
Seine Sekretärin stellte mich durch.
»Ich weiß nicht, ob ich mit Ihnen reden sollte«, sagte er ohne Umschweife.
»Warum nicht?«
»Wir existieren nicht im luftleeren Raum, wissen Sie. Wir lesen Zeitung.«
Ich wusste, worauf er hinauswollte. »Und?«
»Ich kann mit Ihnen nicht über meine Untersuchungsergebnisse sprechen.«
»Er ist mein Vater.«
»Herrgott noch mal, Work. Sie stehen unter Verdacht.«
»Hören Sie, ich weiß, dass zweimal auf ihn geschossen wurde. Ich weiß, welche Munition verwendet wurde. Ich will nur wissen, ob es sonst noch etwas gibt. Irgendetwas Außergewöhnliches.«
»Wir kennen uns schon eine ganze Weile. Das gebe ich zu. Aber Sie bringen mich in eine Zwickmühle. Es gibt nichts, was ich Ihnen erzählen könnte — nicht, solange die Polizei oder die Staatsanwaltschaft kein Okay gegeben hat. Verdammt, Work! Das wissen Sie doch.«
»Sie glauben, ich hab's getan.«
»Was ich glaube, ist irrelevant.«
»Sie sind der Rechtsmediziner. Nichts von dem, was Sie glauben, ist bei einem Mordfall irrelevant.«
»Diese Unterhaltung findet gar nicht statt, Work. Wenn es zum Prozess kommt, werde ich mich im Zeugenstand nicht dem Vorwurf des standeswidrigen Verhaltens aussetzen. Ich lege jetzt auf.«
»Warten Sie«, sagte ich.
Er zögerte. »Was noch?«
»Ich muss die Beerdigung arrangieren. Wann können Sie den Leichnam freigeben?«
Jetzt dauerte die Pause noch länger. »Ich gebe den Leichnam frei, wenn ich die Unterlagen von der Staatsanwaltschaft bekommen habe. Wie immer.« Er zögerte wieder, und ich merkte, dass ihn etwas plagte.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Ich würde ihn lieber an Ihre Schwester freigeben«, sagte er langsam. »Aus den eben genannten Gründen.«
»Sie ist im Krankenhaus«, sagte ich. »Sie hat heute Morgen versucht, sich das Leben zu nehmen.«
»Das wusste ich nicht.«
»Na, jetzt wissen Sie es.«
Das Schweigen zog sich in die Länge. Er war Jean ein- oder zweimal begegnet.
»Ich lasse es mir durch den Kopf gehen, Work. Bis die Unterlagen kommen. Dann sehen wir weiter.«
»Vielen Dank für Ihr großes Entgegenkommen«, sagte ich.
»Ich werde einen Aktenvermerk über dieses Gespräch machen, und jemand aus meinem Büro wird sich bei Ihnen melden, wenn die Unterlagen fertig sind. Bis der Fall aufgeklärt ist, möchte ich nicht, dass Sie noch einmal hier anrufen.«
»Was ist los mit Ihnen?«
»Verarschen Sie mich nicht, Work. Spielen Sie nicht mit mir. Ich habe von Ihrem Ausflug an den Tatort gehört. Sie haben Mills an der Nase herumgeführt, und jetzt bezahlt sie dafür. Vielleicht verliert sie deswegen den Fall, vielleicht sogar ihren Job. Ich werde mich nicht in eine derartige Verlegenheit bringen lassen, und ich lasse mich auch nicht manipulieren. Weder mich noch dieses Büro. Auf Wiederhören.«
Er legte auf, und ich starrte den Telefonhörer in meiner Hand an. Schließlich legte ich auf. Was hatte er gesehen, als er die Augen schloss, den Hörer ans Ohr hielt und meine Stimme hörte? Keinen Rechtsanwalt. Keinen Kollegen und keinen Freund. Er hatte gehört, was er noch nie gehört hatte, dort in seinem exklusiven Büro mit den blinkenden Tischen und den Reihen der schweigenden Toten. Er hatte die Stimme des Gewalttäters gehört, die Stimme des Mörders, dem er seine Tage mit chemischen Gerüchen und kaltem, erstarrtem Blut verdankte. Ich kannte ihn seit acht Jahren, und er glaubte, dass ich es getan hatte. Ich war beurteilt und für fähig befunden worden. Von Douglas, von Mills, von meiner Frau. Von der ganzen gottverdammten Stadt.
Ich schloss die Augen und sah schmale blaue Lippen, die Worte formten, die ich nicht hören konnte und trotzdem erkannte. Gesindel, sagten sie, Abschaum. Es waren die Lippen einer Frau, flankiert von Diamantohrringen, die funkelten wie die Sonne. Ich sah, wie die Lippen sich zu einem Lächeln ohne Heiterkeit verzogen. Arme Barbara. Sie hätte es wirklich besser wissen sollen.
Ehe ich wusste, was ich tat, war ich aufgesprungen, riss das Telefon vom Schreibtisch und schleuderte es quer durch das Zimmer. Es prallte gegen die Wand, brach in Stücke und hinterließ ein Loch, so groß wie meine Stirn. Ich wollte hineinkriechen und verschwinden, aber ich ging hinüber und sammelte die Trümmer des Telefons auf. Doch ich konnte sie nicht wieder zusammensetzen. Also ließ ich sie fallen. Ich berührte das Loch in der Wand. Alles brach auseinander.
Ich setzte mich an den Schreibtisch meiner Sekretärin; der
Weitere Kostenlose Bücher