Der König der Lügen
Die Wut wollte Vergeltung. Und die Wut war stark.
Ich musste sie niederzwingen, sie mit meiner ganzen Willenskraft ersticken. Sonst hätte ich meine Frau vielleicht umgebracht.
Barbara musste die Glut in meinen Augen erkannt haben, denn sie sagte kein Wort, bis das mörderische Leuchten erlosch. Als es weg war, sah sie, was sie zu sehen erwartet hatte: den Mann, mit dem sie seit zehn Jahren verheiratet war. Den leeren Mann. Die Hülse.
Wenn ihr die Wahrheit aufgegangen wäre, hätte sie nie wieder ein Wort zu mir gesagt.
»Bist du fertig?«, fragte sie. »Bist du fertig damit, dich aufzuführen, wie du glaubst, dass es sich für einen Mann gehört?«
»Soll mich das verletzen?«
»Das tut die Wahrheit manchmal.«
»Hör zu, Barbara. Ich hab's dir schon einmal gesagt. Wir sind fertig miteinander.«
Sie strich sich mit dem Handrücken über die Wange. »Wir sind fertig, wenn ich sage, dass wir fertig sind. Ich lasse mich nicht zum Gespött machen. Nicht von dieser Frau und nicht von dir.«
»Du bist so sehr wie mein Vater.« Ich legte die Hand auf den Türknauf. Sie lächelte, und ich starrte sie an und staunte, dass ich es nicht schon früher erkannt hatte. Sie war wie mein Vater. Die gleichen Werte. Die gleiche Gleichgültigkeit.
»Das nehme ich als Kompliment.« Sie stand auf und strich mit verachtungsvoller Miene ihre Kleider glatt.
»Es war nicht so gemeint.«
Sie atmete tief durch die Nase. Ihr Gesicht war gerötet, und ihre Augen glänzten hart wie neue Centmünzen. »Einer von uns beiden muss stark sein«, sagte sie. »Und wir wissen beide, wer das ist.«
Ich blieb auf halbem Weg in der Tür stehen. »Mach dir nichts vor. Du kannst einen Wahnsinnigen als Genie bezeichnen, aber letzten Endes ist er immer noch verrückt.«
»Was soll das bedeuten?«
»Es soll bedeuten, dass Machtbesessenheit nicht das Gleiche wie Stärke ist. Es ist Besessenheit.« Ich dachte an Vanessa. »Ich weiß, wie Stärke aussieht.«
Keine Ahnung, was sie in meinem Gesicht sah: Abscheu, vielleicht Mitleid. Und die Wahrheit war: Meine Frau war niemals stark gewesen, sondern immer nur zornig, und das ist ein großer Unterschied. Im Grunde ihres Herzens wusste sie das.
»Du brauchst mich, Work. Ob du es weißt oder nicht, du wirst mich immer brauchen.«
Ich lief durch den leeren Flur hinter Vanessa her und hörte Barbaras letzte Worte. Sie waren voller Zuversicht, und ich sagte mir, dass die falsch war. Diesmal irrte sie sich.
»Du weißt, wo du mich findest!«, kreischte sie, und ich lief schneller. »Du wirst zurückkommen!« Ich fing an zu rennen. »Das tust du immer!«
Ich prallte mit der Schulter gegen die Ausgangstür. Sie flog auf, und das Nachmittagslicht blendete mich. Blinzelnd überschattete ich die Augen mit der Hand und sah Vanessa am Steuer ihres Pick-ups. Sie fuhr rückwärts vom Parkplatz herunter und raste auf die Ausfahrt zu. An der Straße fuhr sie langsamer, aber sie hielt nicht an; sie bog nach rechts ab und gab Gas. Blauer Qualm quoll aus dem Auspuff. Ich rannte hinter ihr her und rief ihren Namen. Ich roch verbranntes Öl und hörte meinen Atem und das Pochen meines Herzens. Leute starrten mich an, aber das kümmerte mich nicht. Ich spurtete an der gelben Linie entlang und rief Vanessas Namen.
Sie hielt nicht an.
Aber ich würde sie nicht gehen lassen, diesmal nicht. Also rannte ich zurück zu meinem Truck. Ich würde sie unterwegs oder auf der Farm einholen. Irgendwo. Und dann würden wir zu Ende bringen, was wir angefangen hatten.
Ich war nicht mehr in Form. Keuchend erreichte ich den Gras-streifen zwischen Parkplatz und Straße. Ich stolperte und fing mich, bevor ich fallen konnte. Ich wühlte nach meinen Schlüsseln, und als ich den richtigen gefunden hatte, schob ich ihn ins Türschloss und drehte ihn um. Sie konnte noch nicht weit gekommen sein, nicht mehr als eine Meile.
Als ich die Tür öffnete, blickte ich auf und sah Barbara am Hintereingang des Gebäudes. Sie beobachtete mich mit ausdruckslosem Gesicht. Ich zumindest hatte ihr nichts mehr zu sagen. Meine Augen sagten alles.
Dann saß ich im Truck, der Motor heulte heiß, und ich trat das Gaspedal durch. Rückwärts fuhr ich aus der Lücke und wendete den Truck in Richtung Ausfahrt. Und aus heiterem Himmel verwandelte sich mein ganzes Universum. Plötzlich strömten von überall her Autos auf den Parkplatz. Blaulichter. Uniformen. Mein Weg war versperrt, ich war umzingelt von Autos.
Niemand zog eine Waffe, aber ich sah die Pistolen,
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