Der König der Lügen
dachte ich.
Wenn überhaupt.
Ich dachte an Jean und bemühte mich, Ruhe zu bewahren. Gründe, sagte ich mir. Es gibt Gründe für das alles. Gute Gründe. Wenn nicht ich, dann Jean. Darauf konzentrierte ich mich, und es half mir, auf dem Boden zu bleiben. Dies war nur der erste Schritt. Sie brachten mich in Untersuchungshaft, nicht für immer ins Gefängnis. Niemand hatte mich überführt.
Aber allzu lange würde ich mir nichts vormachen können, und als wir anfuhren, wartete ich darauf, dass der Angstschweiß mich fand.
VIERUNDZWANZIG
D er Raum war quadratisch und hatte Glühbirnen unter Draht-gittern an der Decke. Es roch nach Schweißfüßen. Vom Alter verzogene schwarze Linoleumfliesen wellten sich über den Boden und ließen den Raum verzerrt erscheinen, als hätten Riesenhände ihn verdreht, und ich fragte mich, ob es an der schlechten Bauweise oder an meinem Geisteszustand lag. Der Raum befand sich im hinteren Teil des Polizeireviers und hatte, wie ähnliche Räume im Gefängnis, grüne Wände; die Einrichtung bestand aus einem Stahltisch und zwei Stühlen. Einen Spiegel gab es auch, und ich wusste, dass Mills dahinter saß. Sie wusste, dass ich es wusste, und damit war es nur noch albern.
Trotz allem spürte ich ein seltsames Lächeln auf meinem Gesicht. Vielleicht weil ich wusste, dass ich ein Alibi hatte. Wenn sie mich brechen sollten, hätte ich einen Ausweg, und das machte es surreal. Vielleicht stand ich näher am Abgrund, als mir klar war. Wie dem auch sein mochte, das Gefühl verging nicht.
Sie hatten mich durch den Hintereingang hereingebracht, durch die Parkgarage und einen Betonkorridor in diesen Raum, der nach Schweißfüßen roch. Sie hatten mir die Handschellen abgenommen und waren gegangen. Ich saß seit einer Stunde hier, ohne den Wasserkrug anzurühren, der auf dem Tisch stand. Ich hatte schon gehört, wie Polizisten Witze über diese Technik rissen. Mit voller Blase redeten Verdächtige oft allzu hemmungslos drauflos, nur um es hinter sich zu bringen und aufs Klo gehen zu können. Das Warten war ebenfalls üblich; sie wollten, dass die Realität tief ins Bewusstsein eindrang, sie wollten den Angstschweiß.
Also saß ich still da und versuchte mich vorzubereiten, aber eigentlich sehnte ich mich nur nach einer Zigarette. Ich dachte an all die Mandanten, die vor mir in diesem Raum gesessen hatten.
Als Mills hereinkam, brachte sie den Geruch von reifen Pfirsichen mit. Ein zweiter Detective folgte ihr; ich kannte sein Gesicht, aber nicht seinen Namen. Mills setzte sich mir gegenüber, und er lehnte sich neben dem Spiegel an die Wand. Er hatte große Hände, einen kleinen Kopf, hakte die Daumen in die Hosentaschen und beobachtete mich, ohne mit der Wimper zu zucken.
Mills breitete die üblichen Sachen auf dem Tisch aus — Block, Stift, Rekorder, Aktenumschlag. Dann schob sie ein Blatt Papier zu mir herüber, und ich erkannte das Formular, mit dem ich darauf verzichtete, meine Rechte in Anspruch zu nehmen. Sie schaltete den Kassettenrekorder ein und nannte Datum und Uhrzeit.
»Mr. Pickens, bei Ihrer Verhaftung sind Sie über Ihre Rechte in Kenntnis gesetzt worden, Ist das richtig?«
»Kann ich eine Zigarette bekommen?«, fragte ich.
Mills sah sich nach Detective Winzkopf um, der eine Packung Marlboro Light aus der Tasche zog. Ich nahm die Zigarette aus seiner Hand entgegen und schob sie zwischen die Lippen. Er beugte sich über den Tisch, gab mir Feuer mit einem billigen pinkfarbenen Feuerzeug und nahm seinen Platz an der Wand wieder ein.
Mills wiederholte ihre Frage. »Sind Sie bereits über Ihre Rechte in Kenntnis gesetzt worden?«
»Ja.«
»Haben Sie diese Rechte verstanden?«
»Habe ich.«
»Vor Ihnen liegt das Standardformular des Staates North Carolina, auf dem Ihre Rechte noch einmal erläutert werden. Würden Sie dieses Formular bitte laut vorlesen?«
Ich nahm das Blatt und las vor, was darauf stand — für den Kassettenrekorder und für den Richter, der aufgefordert sein könnte, die Rechtmäßigkeit dieser Vernehmung zu begutachten.
»Haben Sie diese Rechte verstanden?« Mills ging wirklich kein Risiko ein.
»Ja.«
»Wenn Sie bereit sind, jetzt mit uns zu sprechen, bitte ich Sie, diese Bereitschaft auf der Verzichtserklärung zu vermerken, sie dann zu datieren und zu unterschreiben.«
Auf diesen Formularen gibt es ein Kästchen, das man ankreuzen kann, wenn man mit der Vernehmung einverstanden ist. Nach dem Gesetz ist die Polizei, wenn ein inhaftierter
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