Der König der Lügen
Verdächtiger die Anwesenheit eines Anwalts verlangt, dazu verpflichtet, die Vernehmung unverzüglich zu unterbrechen. Alles, was danach noch geäußert wird, ist vor Gericht unzulässig — und damit theoretisch auch jeder Beweis, den die Polizei auf der Grundlage solcher Äußerungen vielleicht erbringen kann.
Meinen Mandanten sagte ich immer das Gleiche: »Unterschreiben Sie niemals diese verdammte Verzichtserklärung. Verlangen Sie einen Anwalt, und halten Sie den Mund. Nichts, was Sie sagen können, wird Ihnen helfen.«
Ich ignorierte meinen eigenen Rat, unterschrieb das Formular und schob es zurück. Wenn Mills überrascht war, verbarg sie es gut. Sie schob das unterschriebene Formular in ihre Mappe, als fürchtete sie, ich könnte es mir anders überlegen und das Blatt zerreißen. Einen Augenblick lang wirkte sie verunsichert; vielleicht hatte sie nicht erwartet, dass ich kooperieren würde. Aber ich brauchte Informationen, und ich würde sie nur bekommen, wenn ich mitspielte. Sie hatten etwas gefunden. Ich wollte wissen, was es war. Es war ein gefährliches Spiel.
Ich ergriff die Initiative. »Ist eine Anklage erhoben worden?«
»Die Vernehmung führe ich.« Sie blieb gelassen, war immer noch der leidenschaftslose Profi, aber das würde nicht lange so bleiben.
»Ich kann meinen Verzicht jederzeit zurückziehen«, sagte ich.
Das wissen nur wenige. Man kann die Verzichtserklärung mit Blut unterschreiben und den ganzen Tag Fragen beantworten, und dann kann man es sich immer noch anders überlegen. Und dann müssen sie die Vernehmung immer noch unterbrechen, was kein Polizist gern tut, wenn er noch nicht fertig ist. Ich sah, wie ein Muskel an Mills' Kiefer zuckte. Die Cops haben die besseren Karten, und oft profitieren sie davon, dass die Leute sich mit dem System nicht auskennen.
»Nein. Keine Anklage.«
»Aber Sie haben einen Haftbefehl?«
Sie zögerte wieder, doch dann antwortete sie. »Ja.«
»Wann haben Sie ihn bekommen?«
Ihre Lippen kräuselten sich schmal zusammen, und ich sah, dass Detective Winzkopf sich an der Wand aufrichtete.
»Das ist unwichtig.«
Ich sah den inneren Widerstreit in ihrem Gesicht. Ihre Antwort würde mich sauer machen, aber ihr Schweigen auch. Und ich kannte Mills; sie wollte, dass ich redete, sie wollte es so sehr, dass sie es schmecken konnte. Wenn ich redete, konnte sie mich in eine Falle locken und einen frühzeitigen Sieg erringen. Wenn ich mein Schweigerecht ausübte, würde ihr diese Freude versagt bleiben. Doch sie wollte einen schnellen Treffer. Sie wollte Blut sehen und vertraute auf ihre Fähigkeit, es zu bekommen.
»Um ein Uhr«, sagte sie schließlich.
»Trotzdem haben Sie bis nach fünf gewartet, bevor Sie mich verhaftet haben.«
Mills senkte den Blick auf ihren Block. Es war ihr unangenehm, dass dieses Gespräch auf dem offiziellen Vernehmungstonband aufgezeichnet wurde. Auch Cops haben ihre Regeln. Gib dem Verdächtigen niemals die Kontrolle über die Vernehmung.
»Ich wollte nur sicher sein, dass wir einander verstehen«, fuhr ich fort. »Ich weiß, warum Sie abgewartet haben.« Und ich wusste es wirklich. Wenn sie mich nach fünf verhaftete, gab es keine Gelegenheit mehr, einem Richter vorgeführt zu werden und einen Kautionsantrag zu stellen, nicht noch am selben Tag. Das bedeutete für mich mindestens eine Nacht im Gefängnis, und das war etwas Persönliches, genau wie die Zeitung, die sie mir auf den Küchentisch gelegt hatte. Sie wollte mich die Schlinge spüren lassen, schlicht und einfach.
»Sind Sie fertig?«, fragte sie.
»Nur, damit wir uns verstehen.«
»Dann lassen Sie uns weitermachen.« Sie fing systematisch an, und ich musste zugeben, dass sie gut war. Sie registrierte meine Identität, meine Beziehung zu dem Ermordeten und meinen Beruf mit einem Minimum an Dialog. Sie wollte ein sauberes, klares Transkript. Sie befragte mich über die Nacht, in der mein Vater gestorben war, und sie tat es gründlich. Ich musste ihr über jeden Augenblick Rechenschaft ablegen, und ich erzählte ihr das, was ich ihr schon einmal erzählt hatte. Mutters Unfall. Das Krankenhaus. Ezras Haus. Der Anruf. Sein plötzliches Fortgehen. Den Ernst seiner Auseinandersetzung mit Jean spielte ich herunter und bestätigte noch einmal, dass ich von Ezra aus nach Hause gefahren war und die ganze Nacht dort verbracht hatte. »Nein«, sagte ich, »ich habe meinen Vater nie wiedergesehen.«
»Und was ist mit seiner Waffe?«, fragte sie.
»Was soll damit
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