Der König der Lügen
Carolina. Ich fand zwei Temples: ein Ehepaar Temple und eine Rhonda Temple. Ich notierte mir ihre Adresse. Dann fiel mir ein, dass ich kein Auto hatte. Mills hatte meinen Pick-up beschlagnahmt, als sie mich verhaftete. Ich überlegte, ob ich bis zum Morgen warten sollte, aber die Vorstellung, sechs Stunden wach in diesem leeren Haus zu verbringen, war unerträglich. Schließlich rief ich Dr. Stokes an. Er erwartete mich an seiner Hintertür. Er hatte einen gestreiften Pyjama an, und sein Haar war zerwühlt.
»Tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe, Dr. Stokes, aber es ist ziemlich wichtig.«
Er wedelte meine Entschuldigung beiseite. »Ich habe gesagt, ich würde Ihnen helfen, und das war auch so gemeint. Außerdem ist es lange her dass mich jemand mitten in der Nacht wegen eines Notfalls aus dem Bett geklingelt hat. Hat mir irgendwie gefehlt.« Er kam aus dem Haus, und wir standen in seiner asphaltierten Einfahrt. Im Licht der Verandalampe sah er klein aus. »Welchen Wagen wollen Sie?« Er deutete auf die beiden Autos, die dort parkten — ein dunkelblauer Lincoln und ein kleiner, holzverkleideter Minivan.
»Welchen Sie wollen. Ist mir egal.«
»Dann nehmen Sie besser meinen.« Er verschwand im Haus, kam mit einem Schlüsselbund zurück und gab ihn mir.
Ich sah den Lincoln an. Er war groß und blank poliert, und ich wusste, er war schnell. Ich deutete auf den Wagen. »Ich werde gut drauf achtgeben.«
Dr. Stokes gluckste. »Das ist Marions Wagen, Work.« Er schüttelte den Kopf. »Ich fahre den da.« Er zeigte auf den Minivan. Der Wagen musste mindestens neun Jahre alt sein.
»Oh. Okay. Ich bringe ihn morgen Vormittag zurück.«
»Lassen Sie sich Zeit. Ich habe morgen nichts vor.«
Um halb drei Uhr früh hatte ich die Stadt East Bend gefunden — eine Bodenwelle am Highway 67, dreißig Meilen von Winston-Salem. Viel gab es hier nicht: ein Restaurant, eine Immobilienagentur, ein paar Läden. Ich ging in den einzigen, der offen war, ließ mir einen Becher fragwürdigen Kaffee geben und fragte den Kassierer, ob sie Stadtpläne von East Bend hätten. Er war um die zwanzig und trug eine tarnfarbene Jagdmütze, unter der lange Haare hervorhingen. Über meine Frage musste er lachen.
»Der war gut«, sagte er. »Den muss ich mir merken.«
»Ich suche die Trinity Lane«, sagte ich beim Bezahlen.
»Die finden Sie nie.«
»Deshalb frage ich Sie ja nach dem Weg.«
»Das ist keine richtige Straße. Deshalb werden Sie sie nicht finden. Es ist bloß ein Feldweg von der Sorte, für die man sich einen Namen ausdenken darf, aber das Straßenschild ist grau, nicht grün. Daran kann man immer erkennen, ob es eine richtige Straße ist oder nicht. Grün bedeutet richtig. In beidem ist ein r in grün und in richtig. Daran kann man sich's gut merken.«
»Aber in grau ist auch ein r.«
»Scheiße. Da haben Sie recht.«
»Ich suche eine Frau namens Rhonda Temple.« Er antwortete nicht, stand hinter seiner Theke, klopfte sich auf den Bauch und starrte mich an. »Ich will ihr nichts tun, falls Sie das befürchten.«
Er lachte wieder und zeigte seine fleckigen Zähne. »Von mir aus können Sie sie umbringen. Die Frau ist ohne Zweifel das niederträchtigste Miststück, das ich kenne. Wieso wollen Sie mit ihr reden?«
»Hatte sie vor sieben oder acht Jahren einen Brandunfall?«
»Ja, das ist sie.«
»Darüber will ich mit ihr reden.«
»Verdammt, davon kann Ihnen hier jeder erzählen. Ihre verrückte Göre hat die Bude abgefackelt. Hat den Alten mit Handschellen ans Bett gefesselt und verbrennen lassen.«
»Alex.«
»Nein. Alex hieß sie nicht.«
»Virginia, meine ich. Die Tochter heißt Virginia.«
»Genau.«
»Kannten Sie sie?«
»Eigentlich nicht. Sie war nur ein, zwei Jahre älter als ich, aber sie hatte einen Dachschaden. Sie war ungefähr vierzehn, als sie weggebracht wurde.«
Ich stützte mich auf die Theke. »Haben Sie eine Ahnung, warum sie es getan hat?«
Er hob die Mütze hoch und kratzte sich am Kopf. »Weil sie niederträchtig war, schätze ich. Und durchgeknallt.«
»Und wie finde ich das Haus dieser Frau?«
»Oh. Fahren Sie da runter und biegen Sie bei dem gelben Blinklicht links ab. Suchen Sie nach dem grauen Schild auf der linken Seite. Da ist ein Feldweg. Sie wohnt am Ende.«
Ich sah ihn an. »Haben Sie nicht gesagt, das finde ich nie?«
»Hätten Sie auch nicht, wenn ich es Ihnen nicht gesagt hätte.
Wollen Sie heute Nacht noch hin?«
»Vielleicht«, sagte ich. »Ich hab's mir noch nicht
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