Der König der Lügen
Samtschatulle fand ich einen Teil des Schmucks meiner Mutter — nicht das, was sie getragen hatte, als sie starb, sondern die wirklich teuren Sachen, die Ezra einmal als »Leck-mich-Klunker« bezeichnet und die er nur dann herausgeholt hatte, wenn er einen Mann beeindrucken oder dessen Frau billig aussehen lassen wollte. Meiner Mutter war es zuwider gewesen, sie zu tragen, und einmal hatte sie mir gesagt, sie fühle sich damit wie die Konkubine des Teufels. Nicht, dass sie nicht schön waren; sie waren sogar wunderschön. Aber auch sie waren Werkzeuge, und sie waren nie anders gedacht gewesen. Ich stellte die Schatulle beiseite; ich würde sie Jean geben. Vielleicht konnte sie den Schmuck verkaufen.
Die Videokassetten lagen ganz unten, drei Stück, unbeschriftet. Vorsichtig griff ich danach wie nach einer Schlange und fragte mich einen Augenblick lang, ob ich das Richtige tat — ob es nicht vielleicht Dinge gab, die ein Sohn über seinen Vater niemals wissen sollte.
Warum verwahrte er Videokassetten im Safe?
Ein Videorekorder und ein Fernseher standen in der Ecke. Willkürlich wählte ich eine Kassette aus und schob sie in das Gerät. Ich schaltete den Fernseher ein und drückte auf die Play-Taste.
Zuerst sah ich weißes Rauschen, dann ein Sofa. Weiches Licht. Stimmen. Ich warf einen Blick auf das lange Ledersofa hinter mir und schaute dann wieder auf den Bildschirm. Es war dasselbe Sofa.
»Ich weiß nicht, Ezra.« Eine Frauenstimme, irgendwie vertraut.
»Mach's für mich«, sagte Ezra.
Ich hörte ein leises Klatschen, ein mädchenhaftes Auflachen.
Die Beine einer Frau, lang und sonnengebräunt. Sie lief an der Kamera vorbei und warf sich auf die Couch. Sie war nackt und lachte, und für einen Sekundenbruchteil sah ich weiße Zähne und genauso helle Brüste. Dann wuchtete sich Ezra ins Bild und füllte es aus. Er wurde kleiner, als er zum Sofa ging, und ich hörte ihn etwas murmeln. Danach ihre Stimme: »Na, dann komm doch.« Die Arme über den Kopf gestreckt, das Gesicht verdeckt. Ihre Beine spreizten sich; das linke legte sich auf die Sofalehne, das rechte schlang sich um seine Hüften und führte ihn zu ihr heran.
Er ließ sich auf sie fallen, begrub sie unter seinem massigen Körper, aber ich sah ihre Beine, und sie war stark genug, um sich unter ihm aufzubäumen. »0 ja«, sagte sie. »Genau so. Fick mich so.« Und er tat es, er warf sie nieder, trieb sie hinunter und in das nachgiebige Leder. Schlanke Arme wanden sich unter ihm hervor, fanden seinen Rücken und rissen Kratzspuren in seine Haut.
Mir wurde übel vom Zusehen, aber ich konnte nicht wegschauen. Denn insgeheim wusste ich es schon. Es war die Stimme. Die übereinandergeschlungenen Beine. Das kurze, schreckliche Aufblitzen der Zähne.
Ich wusste es und sah in verzweifelter Fassungslosigkeit zu, wie mein Vater meine Frau auf das Sofa nagelte.
DREIUNDDREISSIG
D ie Bilder trafen mich wie Hammerschläge. Er benutzte sie, behandelte sie grob, und als ich einmal ihre Augen sah, glühten sie wie die eines Tieres. Es gab kein Büro mehr, keine Welt, alles war weg, und ich spürte den Boden nicht, der meinen Knien entgegenraste. Mein Magen krampfte sich zusammen, und vielleicht füllte mein Mund sich mit Galle, aber ich schmeckte nichts davon. Alle meine Sinne waren überwältigt von dem einen, der mich nur noch anekelte. Bilder, die kein Mensch sehen sollte, schwollen vor meinen Augen an und zerplatzten wie faule Früchte. Meine Frau, erst auf dem Rücken, dann auf Händen und Knien. Mein Vater, behaart wie ein Affe, grunzte über ihr, als wäre auch sie nur seelenloses Fleisch und nicht die Frau seines einzigen Sohnes.
Wie lange? Der Gedanke drang zu mir durch. Wie lange war das so gegangen? Und dann, gleich danach: Wie hatte es mir entgehen können?
Und gerade als ich nichts mehr ertragen konnte, wurde der Bildschirm schwarz. Ich sank in mich zusammen und wartete auf den Zusammenbruch, aber er kam nicht. Ich war wie betäubt, erschlagen von dem, was ich gesehen hatte und was diese Bilder bedeuteten. Ihre Stimme, als sie sprach — ich erschrak fast zu Tode.
»Du hast die Dielenbretter festgenagelt.«
Ich fuhr herum und sah sie. Sie stand neben Ezras Schreibtisch. Ich hatte nicht gehört, wie sie die Treppe heraufgekommen war, und wusste nicht, wie lange sie schon dastand. Sie legte die Fernbedienung auf den Schreibtisch. Langsam stand ich auf. Sie wirkte ganz ruhig, aber ihr Blick war glasig, und ihre Lippen waren feucht.
»Weißt du,
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