Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
Vom Netzwerk:
Ezras Büro zuwandte. Am Fuß der Treppe blieb ich stehen und dachte an das Poltern des Schreibtischsessels, der da heruntergekracht sah anders aus; vielleicht lag es am Licht, doch die hintere Ecke schien gewellt zu sein. Ich schlug sie zurück, und wieder fragte ich mich, ob meine Erinnerung mich täuschte. Das Holz war an der Kante abgesplittert und rund um die Nägel verkratzt. Die Schrammen kamen mir unbekannt vor. Sie waren klein und sahen aus, als stammten sie von einem flachen Schraubenzieher. Ich strich mit den Fingerspitzen darüber. War jemand hier gewesen?
    Ich schob den Gedanken beiseite. Die Zeit arbeitete gegen mich, und ich hatte eine Zahl, die mir ein Loch ins Hirn brannte. Ich griff zum Hammer und machte mich über die Nägel her. Ich versuchte die Klaue unter die Nagelköpfe zu schieben, verschrammte das Holz noch mehr und scheuerte die Nägel blank, aber ich bekam sie nicht heraus. Ich rammte die Klaue in den Spalt am Ende des Dielenbretts, packte den Griff und lehnte mich mit aller Kraft zurück. Nichts rührte sich. Ich strengte mich noch mehr an und spürte die Anspannung in meinem Rücken. Doch die vier großen Nägel saßen zu fest.
    Ich rannte zurück in den Keller, zurück ins trübe Licht der einen Birne, die von der Decke hing, und um den Kartonfriedhof herum in die Ecke mit dem Werkzeug, wo ich eine Schneeschaufel gesehen hatte, eine Leiter, eine kaputte Harke und einen alten Wagenheber. Ich fand das Stemmeisen, das zu dem Wagenheber gehörte; es war einen halben Meter lang und hatte ein scharfes, flach zulaufendes Ende. Als ich keuchend wieder oben angekommen war, schob ich das flache Ende zwischen die Dielen und schlug mit dem Hammer auf das andere. Der Stahl bohrte sich in den Spalt, und das gelbweiße Holz schien mich anzulächeln. Ich klemmte den Hammer unten unter das Stemmeisen, um einen Hebelpunkt zu haben, hielt ihn mit dem Fuß fest und lehnte mich mit meinen ganzen fünfundachtzig Kilo auf das Stemmeisen. Ich drückte es hinunter und hörte das Holz krachen und dann splittern. Ich schob das Eisen ein Stück weiter am Brett entlang und stemmte ein Fragment hoch, dann noch eins, bis das ganze Ding sich löste. So riss ich die Dielen heraus; ich bekam Splitter in die Hände und achtete nicht darauf. Die zerbrochenen Bretter warf ich zur Seite.
    Der Safe starrte mir herausfordernd entgegen, und einen Augenblick lang hatte ich Angst. Aber ich sah den Kontobucheintrag meines Vaters vor mir und wusste, dass ich die richtige Zahl hatte. Ich war bereit, Ezra niederzureißen, bereit, alles über ihn zu wissen, und ließ mich wieder auf die Knie fallen. Ich kniete über diesem letzten Teil des alten Mannes, sprach ein Stoßgebet und gab das Datum ein, an dem er die bis dahin größte Summe seines Lebens verbucht hatte.
    Auf lautlosen Angeln öffnete sich die Tür. Ich sah Dunkelheit und blinzelte.
    Das Erste, was ich erkennen konnte, war Bargeld, eine Menge Bargeld, in Zehntausend-Dollar-Banderolen gebündelt. Ich nahm alles heraus. Die Bündel lagen schwer und solide in der Hand Briketts aus Geld, dessen Geruch den Muff überlagerte. Auf den ersten Blick schätzte ich, dass es fast zweihunderttausend Dollar waren. Ich legte es neben mir auf den Boden, aber es fiel mir schwer, es aus den Augen zu lassen. Noch nie hatte ich so viel Bargeld gesehen. Aber ich war nicht hier, weil ich Geld suchte. Also wandte ich mich wieder dem klaffenden Loch zu.
    Das Nächste waren Bilder von seiner Familie. Nicht von seiner Frau und seinen Kindern. Nicht von dieser Familie, sondern von der, in der er aufgewachsen war. Von der armen Familie. Da war ein verblichenes Foto von Ezra und seinem Vater. Ein anderes zeigte seinen Vater und seine Mutter. Auf einem dritten waren mehrere schmutzige Kinder mit leerem Blick, vielleicht seine Geschwister. Ich hatte diese Bilder noch nie gesehen, und ich bezweifelte, dass Jean sie kannte. Die Personen sahen verbraucht aus, sogar die Kinder, und auf einem Gruppenfoto erkannte ich, was Ezra von allen unterschied. Es war etwas in seinen Augen, genau wie auf dem Foto zu Hause auf seinem Schreibtisch. Kraft lag darin, als hätte er selbst als Kind Welten in Bewegung setzen können. Seine Geschwister mochten es gespürt haben, denn auf den Fotos schienen sie um ihn herumzuschweben.
    Aber für mich waren es lauter Fremde. Keinen einzigen von ihnen hatte ich jemals kennengelernt. Keinen.
    Ich legte die Fotos neben das Geld und schaute wieder in den Safe. In einer großen

Weitere Kostenlose Bücher