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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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schmalen Gebäude hoch. Schon jetzt fühlte ich mich hier wie ein Fremder, und Barbaras Worte klangen mir in den Ohren. Zehn Jahre...
    vertan ... einfach weg...
    Ich stieg aus. Niemand war zu sehen, aber in der Ferne hörte ich Sirenen, und ich dachte an Mills, stellte mir vor, wie sie Ezras Revolver betrachtete und mit der flachen Hand auf ihre harten Schenkelmuskeln schlug. Sie würde den anonymen Anrufer ausfindig machen, und er würde mich identifizieren. Ich würde verhaftet, vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Ich hatte nur noch Hank und die verblassende Hoffnung darauf, dass Vanessa Stolen meinen Leib und meine Seele retten würde.
    Im Büro roch es muffig, als wären Wochen oder Monate vergangen, seit ich zuletzt hier war. Schatten streckten sich durch die Lamellen der Jalousien, und Stäubchen schwebten in den Lichtstreifen dazwischen. Die Räume waren still und abweisend, als hätten meine Gedanken mich verraten. Ich gehörte nicht hierher. Das war die Botschaft. Das Gebäude wusste es.
    Ich schloss die Tür hinter mir ab und ging durch den kurzen Flur in den Empfangsraum. Alle Geräusche waren gedämpft, und die Luft fühlte sich an, als müsste ich mich durch Wasser schieben. Ich begriff, dass ein großer Teil dessen, was ich spürte, ein formloses Grauen war. Ich versuchte es abzuschütteln.
    Die Polizei hatte meine Computer beschlagnahmt; also ging ich die schmale, knarrende Treppe hinunter in den Keller, wo Kartons aufragten wie ein zerklüftetes Gebirge. Eine einzelne Glühbirne baumelte wie am Galgen unter der Decke. Der Keller war vollgestopft mit alten Fallakten, Steuerunterlagen und Bankauszügen. Ich sah zerbrochenes Mobiliar, ein Fitnessgerät, das aus den siebziger Jahren stammte, und acht verschiedene Golftaschen. Es war ein Riesendurcheinander, und die ältesten Sachen lagerten ganz hinten. Ich watete durch das Chaos und versuchte das System zu ergründen. Die Kartons waren willkürlich aufeinandergestapelt, aber nach Datum gruppiert; also würde ich die Akten aus jedem beliebigen Jahr zusammen finden, verbuddelt in einem Massengrab.
    Ich machte den Jahrgang ausfindig, den ich für den richtigen hielt, und fing an, die Kartons aufzureißen. Alles war völlig ungeordnet, was mich wunderte: Ezra hatte seine Angelegenheiten immer mit peinlicher Gewissenhaftigkeit behandelt. Es waren Tausende von Unterlagen, in verbeulte Pappkartons gepresst. In den größeren Kartons fand ich kleinere mit Monatskalendern, Quittungen, Notizzetteln, eingetrockneten Stiften und Büroklammern. Ich fand halb benutzte Schreibblocks und aussortierte Rolodex-Karten. Es war, als hätte Ezra jedes Jahr seinen Schreibtisch ausgeräumt und mit neuem Material gefüllt. Ich schlug seinen Tagesplaner für Dezember auf, sah das kleine Ausrufungszeichen am 31. Dezember und erkannte, warum der Monat so anders war: Das Jahr war zu Ende, und wie so vieles aus seiner Vergangenheit hatte Ezra es weggeräumt und abgehakt. Ezra hatte sich immer nur für die Zukunft interessiert. Alles andere war kaum mehr als Abfall.
    Was ich suchte, fand ich auf dem Boden des siebten Kartons, vergraben unter einem halben Meter Scheidungsanträgen. Ich erkannte den brüchigen schwarzen Rücken eines Kontobuchs, wie Ezra es immer benutzt hatte. Es knackte, als ich es öffnete, und ich befühlte das grüne Papier, das inzwischen braun an den Rändern war, und sah Ezras präzise Zahlenkolonnen. Mein erster Eindruck war der von Kleinheit: kleine Handschrift, kleine Zahlen — nichts im Vergleich zu seiner Statur oder den Rechnungen, die er wenig später ausstellen sollte. Ich fand den Inkassoeintrag auf Seite dreiunddreißig. Die Gutschrift darüber betrug siebenundfünfzig Dollar, die darunter glatte hundert. Seine Handschrift war unverändert, als wäre eine Drittelmillion Dollar ein alltäglicher Zahlungseingang gewesen. Ich schaute die Zahl an und konnte nur ahnen, welche Genugtuung ihm diese Eintragung verschafft haben musste. Dennoch war es, als hätte er jedes Symptom von Freude oder Genugtuung unterdrückt. Vielleicht war er darin selbstsüchtig gewesen, vielleicht auch nur diszipliniert, aber ich erinnerte mich noch an den Abend, an dem er mit uns ausgegangen war, um den Erfolg zu feiern. •Jetzt kann mich nichts mehr aufhalten«, hatte er gesagt. Und damit hatte er recht gehabt, bis Alex ihm in den Kopf geschossen hatte.
    Ich verließ den Keller und knipste das Licht aus. Der Geruch von schimmelndem Pappkarton folgte mir, als ich mich

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