Der König der Narren
Teppich in lose, unverknüpfte Fäden überging, waren die weiße Seide und das Tränenblau so weit voneinander entfernt, wie es nur ging.
» W arum hat sie ihren R ett e r nic h t bei sich be ha lte n ? W enn Gut und Böse ihr gleich gilt, dann kann es doch keine Rolle gespielt haben, was er in seiner Hei m at war ? «
»Ihr m ag es gleich gewesen sein«, a ntwort e te P a llas, »d o ch woher willst du w i s sen, ob es i h m gleich w ar ? «
Das verstand Res nicht, also konzentrierte sie sich auf etwas, das sie begriff. » W enn m an ihn sucht e , müsste m an also weit vom Elfenbeinturm entfernt beginnen.«
»Das m üsste m an, wenn er überha u pt noch am Leben ist, w as ich nicht glaube. Meiner Meinung nach hat die W eberin den T eppich nie beendet, weil er vorher starb.«
»Dann hätte sie seinen T od als letztes Bild einfügen können«, gab Res zurück und verlagerte i h r Gewicht auf die Fersen.
»Nun ja«, sagte Pallas. » W enn er noch am Leben ist und die Kindliche Kaiserin glaubt, er kön n e Phantásien erneut retten, dann hat sie vielleicht bereits nach ihm gesandt. Und nun nenne m i r die Art W olle, die benutzt wurde, um die Seide für den Elfenbeinturm zu stützen.«
Auf d e m Nachhauseweg beschlo s s Res, noch ein m al bei Kunla vorbeizuschauen. Sie w ollte nicht, dass er auf die Reise ging, von der sie b e ide im m er geträ u m t hatten, und den bitteren W ortwechsel vom Abend zuvor als letzte Erinnerung an sie behielt. Außerdem konnte sie versuchen, ihm zu erklären, was sie bedrückte. Sie waren schließlich Freunde. Um Freundschaft lohnte es sich zu kä m p fen.
Das Gehö f t, in dem Kunlas Fa m ilie lebte, lag in der Nähe des Gildehauses, und Kunlas Vater hatte es sich nic h t neh m en lasse n , es wie das Gildehaus in W ürfelfo r m zu bauen. Lediglich die Türpfosten aus Muschelstein an der E i ngangspforte waren rund, wie es die T r adition von Sirid o m eigentlich verlangte. Ihre urs p rüngliche Rosafärbung hatte sich durch all das Öl, das die Besucher im Laufe der J ahre aufgetragen hatten, fast violett v e rdunkelt. Alter Gewohnheit entsprechend strec k te Res beide A r m e aus und strich m it den Händen hastig links und rechts über die glatte Obe r fläche, um die Pfosten zu begrüßen, ehe sie durch die Pforte trat.
Die Pfosten erkannten ihre Berüh r ung. »Geh wieder nach H ause, Res«, brum m t e der linke.
»Es ist niemand da«, setzte der rechte hinzu.
» W ie m eint ihr das ? «, fragte Res ver b lüfft. »Die bereiten sich hier auf eine große Reise vor, da gehen sie bestim m t nicht m ehr aus. Oder sind sie alle im Gildehaus? Aber Kunlas Mutter doch bestim m t nicht.«
»Sie sind vor einer Stunde abger e ist«, erwiderten die Tür p fosten im Chor, »alle.«
Das war so unglaublich, dass Res s i ch in den Staub setzte. »Heute schon ? «
Natürlich war es eine e ili g e Angel e genheit, ab e r sie hätte nicht gedacht, dass Kunlas Vater so schnell einen ganzen Tross zusa mm enstellen konnte. Vor einer Stunde. Sie war zu spät gekom m en. Kein versöhnlicher Abschied von Kunla.
Dann drang etwas in ihr Bewusstsein, das sie zuerst überhört hatte. »Alle?«, wiederholte sie l a ngsa m . »Auch Schiri und Aife?«
»Alle«, wiederholte der rechte Pfosten.
Das ergab keinen Sinn. Kunlas Mutter Aife hatte nichts für Reisen übrig. Sie w ar noch nicht ein m al m itgekommen, als Kunlas Vater m it seinen Kindern und Res einen Ausflug in die Ebene von Kenfra ge m acht hatte. Und die Reise zum Elfenbeinturm war keine Vergnügungsfahrt; im Gegenteil, es war e i ne bitterernste Mission, und m an sollte anneh m en, dass Kunlas Vater m it so wenig Gef ä hrten wie möglich rei s en wollte, u m schneller voranzukom m en. Dass er seinen Sohn, der ohnehin bald zum Gilden m itglied ausgebildet werden sollte, m itnah m , war verständlich, aber seine Tochter und seine E hefrau?
»Das verstehe ich nicht«, sagte Res hil f los. Doch all m ählich kam ihr ein ungeheuerlicher Verdacht. »Haben sie irgendje m anden eingeladen, um das Haus zu hüten ? «, fragte sie und spürte, wie ihr Herz schneller schlug, während sie sich befahl, nicht verr ü ckt zu spielen. Das, was sie ver m utete, konnte unmöglich sti mm en.
»Nein«, gab der linke Pfosten mürrisch zurück. »Ich sehe es kom m en, s c hon bald wird Moos an uns wachsen, oder wir ersticken in Vogel m ist, wenn wir nicht regel m äßig gepf l egt werden. Seit drei Generation e n hüten wir das Heim der Fa m ilie. Das
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