Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
Philippa jeden Tag einlaufen könne und alle Geschäfte langsam wieder in Gang kämen, hatte sein Meister ihm erklärt. Und Cecil wusste, er hätte stolz sein sollen, dass ihm all das anvertraut wurde – und sei es auch nur für ein paar Tage –, aber die Tatsache bereitete ihm mehr Ungemach als Freude. Er fühlte sich überfordert, fürchtete, etwas falsch zu machen, und war außerdem einsam.
Jonah hatte ihm angeboten, in Crispins großzügige Kammer zu ziehen, und das hatte Cecil bereitwillig getan. Die Abendstunden verbrachte er meist dort, denn dann fühlte er sich weniger verloren als in der stillen Halle. Er hatte sich mit einer der vielen Hauskatzen angefreundet – einer pechschwarzen, hochmütigen, ebenso verspielten wie gnadenlosen Jägerin. Er nahm sie mit in sein neues, komfortables Bett, lauschte ihrem zufriedenen Schnurren und dachte über Crispin und die Vergangenheit nach, aber immer häufiger, stellte er schuldbewusst fest, über die Zukunft und den Mann, der so unerwartet sein Vater geworden war. Es hatte ihn bewegt und ihm über seinen großen Verlust hinweggeholfen, als sein Onkel ihn so großmütig in seine Familie aufgenommen und ihm seinen Namen gegeben hatte, um ihn zu schützen. Dabei war Jonah ihm bislang immer kühl und unnahbar erschienen. Cecil hatte seit jeher angenommen, dass Master Durham es als unangenehme Pflicht empfand,sich seines verkrüppelten, obendrein unehelichen jungen Verwandten annehmen zu müssen, dass er es tat, damit man ihm in der Gilde nichts nachsagen konnte. Jetzt musste er erkennen, dass er ihn falsch eingeschätzt hatte. Doch dass sein Onkel und Adoptivvater ihm gleich sein ganzes Geschäft anvertraute, war des Guten ein bisschen zu viel. Vielleicht nahm er an, Cecil sei genau wie er früher oder so wie Harry Willcox und brenne darauf, Verantwortung zu übernehmen und Großes zu vollbringen. Aber Cecil war eben anders. Die Verantwortung war ihm eine Bürde und raubte ihm den Schlaf.
Er fuhr erschrocken zusammen, als es an der Tür klopfte, schalt sich gleich darauf einen Narren und rief mit fester Stimme: »Nur herein!«
Meurig steckte den Kopf durch die Tür. »Schläfst du schon, Cecil?«
»Nein, nein. Was gibt es denn?«
»Ein Bote wartet in der Halle, der dich zu sprechen wünscht. Er hat mir nicht gesagt, wer ihn schickt.«
Cecil schwang die Beine vom Bett. »Ein Bote? Um diese Zeit?«
Meurig hob ratlos die Schultern, und Cecil folgte ihm, halb neugierig, halb beunruhigt in die große Halle.
Der Bote war ein junger Bursche in sauberer, aber abgetragener Kleidung. Das schulterlange blonde Haar war ordentlich gekämmt, aber unter den Nägeln hatte er Trauerränder.
»Was wünschst du?«, fragte Cecil und bemühte sich, wie der Herr des Hauses zu klingen. Er kam sich lächerlich dabei vor.
Der Bursche wartete, bis Meurig gegangen war, ehe er sagte: »Ich bedaure, Euch so spät zu stören, Master, aber Eure Mutter schickt mich her. Sie ist plötzlich erkrankt und bittet Euch dringend zu sich. Sofort, soll ich ausrichten.«
Cecil schloss für einen Moment die Augen. »Ist es …«, er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, »ist es der schwarze Tod?« Hier und da starb immer noch jemand daran, wenn auch nur noch so wenige, dass inzwischen wieder jeder anständig und einzeln begraben werden konnte.
»Nein, ich glaube nicht. Aber sie ist sehr elend.«
Cecil spürte einen Moment würgende Panik, aber er fing sich schnell wieder. »Augenblick. Ich hole meinen Mantel.«
Er eilte zu seinem Zimmer, warf sich den Mantel über die Schultern und hastete dann vor dem jungen Boten die Treppe hinab und hinaus in den Hof. Dabei nahm er sich nicht die Zeit, Meurig Bescheid zu geben. Das war nicht nötig, denn er besaß ja derzeit einen Schlüssel zum Tor.
Er trat durch die Pforte, sperrte ab, wandte sich dann wieder dem Boten zu, um ihn etwas zu fragen, und sah ungläubig dessen Faust auf sich zufliegen. Im ersten Moment war er völlig erstarrt vor Schreck, aber er riss den Kopf dennoch rechtzeitig zur Seite. Der junge Bursche, der eben noch so schüchtern und höflich gewirkt hatte, stürzte sich auf ihn.
Sie gingen zu Boden und rollten durch den Straßenstaub. Cecil kam nicht auf die Idee, um Hilfe zu rufen, denn das lockte in London nach Einbruch der Dämmerung keine Menschenseele vor die Tür. Er wehrte sich besonnen, und wäre der seltsame Bote allein gewesen, hätte er vermutlich eine böse Überraschung erlebt, denn Cecil glich seine Behinderung nicht
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