Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition)
bedeuten, daß es auf der Welt nur ein Mädchen gibt und daß es sie ist. Gestern sah ich ihn in größter Unruhe und wagte, ihn nach dem Grund zu fragen. Für gewöhnlich hätte ich auf meine Frage eisiges Schweigen geerntet, aber dem war nicht so. ›Ach, Sioac!‹ sagte er, als sei er froh, sich auszusprechen, ›ich bin sehr in Sorge: Das Mädchen ist krank‹.«
»Herzog«, sagte Fogacer, »könnt Ihr mich aufklären? Seit einer Weile geht am Hof, quer durch alle Gruppen und Ränge, eine neue Witzelei um.«
»Zum Exempel?«
»Fragt der eine: ›Und wie nimmst du ihn?‹, sagt der andere: ›Mit der Zange, wie Ludwig‹, und alles brüllt vor Lachen.«
»Wen wundert es? Der Hof nährt sich von Albernheit und Bosheit. Dennoch eine Frage: Wenn ich Euch aufkläre, mein lieber Domherr, wem werdet Ihr die Geschichte weitersagen?«
»Dem Nuntius natürlich!«
»Aber bitte, nur dem Nuntius allein.«
»Versprochen.«
»Nun, die Sache ist die: Bevor die Königinmutter in Ungnade fiel (was ich, glaube ich, schon erzählt habe), war Marie de Hautefort deren Ehrenjungfer. Ihre Schönheit trug ihr viele Komplimente ein, und manche Herren schickten ihr verliebte Billets. Und einmal, als Ludwig seiner Mutter seine allmorgendlicheEhrerbietung erweisen kam, fand er ›das Mädchen‹ beim Lesen eines dieser Briefchen. Er verlangte, sie solle es ihm aushändigen. Doch die Schöne war trotzig, weigerte sich und steckte das Billet in ihren Busen. Entrüstet über solchen Ungehorsam, hielt die Königinmutter ihr die Hände fest und sagte zu ihrem Sohn: ›Ich halte die Pute. Holt Euch nur mit der Hand den Brief, den sie Euch vorenthalten will.‹
Ludwig geriet in grausame Verwirrung, so unziemlich dünkte es ihn, die Finger in den Ausschnitt der Jungfer zu stecken. Er konnte sich absolut nicht dazu verstehen, und in seiner Verlegenheit griff er eine silberne Zuckerzange vom Tisch und versuchte, damit das so innig versteckte Papier zu fassen. Doch vergebens, denn er hätte die Zange nun zudrücken müssen, wozu Ludwig sich aber nicht entschließen konnte. Und weil Marie schrie wie am Spieß und Ludwig beschuldigte, er quetsche ihre Brüste, zog Ludwig entmutigt die Zange zurück, warf sie wütend auf den Tisch und eilte spornstreichs davon.«
Es klopfte an der Tür.
»Meine Herren«, sagte die hereintretende Catherine, »darf ich mich zu Euch gesellen, oder habt Ihr noch Reichsdinge zu besprechen?«
»Sind wir fertig, mein lieber Domherr?« fragte ich.
»Das sind wir«, sagte Fogacer. »Wir sprachen über Mademoiselle de Hautefort und darüber, daß der König sie nun schon seit Jahren liebt.«
»Ist sie denn so schön?« fragte in zweifelndem Ton Catherine.
Ich zauderte, denn so harmlos die Frage klang, so gefährlich war die Antwort. Fogacer gab sie mit seiner gewohnten Rücksicht statt meiner.
»Sie ist blond, hat schöne blaue Augen, schöne Zähne, das Inkarnat ihres Alters und ist achtzehn.«
Das Lob klang, wie erwünscht, mäßig, die achtzehn Jahre gewissermaßen abschätzig.
»Aber worüber reden sie denn«, fragte Catherine, »wenn sie beim Gespräch einen halben Klafter Abstand halten?«
»Worüber kann der König schon reden?« versetzte Fogacer mit seinem langsamen, gewundenen Lächeln, »über Hunde, Pferde und die Jagd.«
»Und sie, was sagt sie?«
»Nichts. Sie sieht Ludwig aus großen blauen Augen an und hört zu.«
»Und was sagt der Kardinal zu der Liebe zu diesem ›Mäd chen ‹, wie Ihr sie nennt?«
»Zuerst war er sehr aufgebracht, aber da die Eltern von Mademoiselle de Hautefort sich weder gegen seine Person noch gegen seine Politik erklärten, fand er sich allmählich damit ab.«
***
»Monsieur, auf ein Wort, bitte.«
»Sind Sie es, schöne Leserin?«
»Ich bin’s.«
»Wie reizend! Sie wissen, ich schätze Ihre Gegenwart und Ihren Scharfsinn. Fragen Sie, teure Freundin, was Sie wollen, nur sagen Sie zuerst, ob Sie sich an den Herzog von Orbieu oder an seinen Chronisten wenden.«
»An seinen Chronisten.«
»Zum Glück. Denn angenommen, Sie würden den Herzog von Orbieu fragen, ob der auf Frankreich zurollende Krieg etwa ein Ausläufer des Dreißigjährigen Krieges sei, wüßte er Ihnen nicht zu antworten. Wir befinden uns im Jahr 1635, und der Herzog ist ja kein Seher, er kann also nicht wissen, daß dieser Krieg, der 1618 begann, erst 1648 enden wird.«
»Danke. Meine zweite Frage, wenn Sie erlauben, Monsieur: Wer sind die ›Kaiserlichen‹, die unsere Ostgrenze bedrohen und
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