Der König muß sterben
Roslin!«
Henri de Roslin war bereit, es mit allen Feinden aufzunehmen. Nachdem er die Folgen der Tortur überstanden hatte, betete er in der Kapelle eines Klosters um Beistand.
Der Bittgottesdienst um vier Uhr morgens war vorüber, das Morgenoffizium vom Abt des Klosters gelesen worden. Die kleine Kirche in der Nähe von Aigues-Mortes lehrte sich. Die Teilnehmer gingen langsam den steilen Uferweg hinunter zum neuen Hafen von Le Grau du Roi, stumme Männer, begleitet von ihren Frauen, von ihren Familienangehörigen. Selbst die Hunde bellten nicht mehr. Der Morgen graute, und das Schiff lag schon bereit.
Henri starrte auf die seltsamen Zeichen und Gesichter an den Wänden und auf dem Kreuzrippengewölbe der Kapelle.
Über den zwei Meter hohen Fliesen sahen ihn zwei Stierköpfe an, die für die materielle Welt, für das Erdhafte, für Kraft und Stärke, standen. Das rote achteckige Tatzenkreuz darüber begann ihn zu trösten, hier in diesem abgelegenen Winkel im Süden Frankreichs existierte es noch, es schien ihm plötzlich als Symbol des Lebens zu leuchten. Ein gutes Omen! Ebenso wie die Lebensrosetten auf den Schlusssteinen der Kreuzrippen, die mystischen Rosen des heiligen Grals.
Er glaubte den Zeichen und Zahlen aus der Verkündigung. Er glaubte, dass die Schmach des Ordens der Templer rückgängig gemacht werden konnte.
Henri wartete dennoch auf die Morgendämmerung wie ein zum Tode Verurteilter, den das Klopfen des Zeithämmerchens auf den Kirchenglocken zum Schafott ruft. Das Zeichen kam, die ersten Lichtfinger der Sonne tasteten über das Meer, Küsten, Wälle und Stadtmauern der kleinen Stadt und drangen bis in die Zimmer der Schlafenden.
Der Ort am Meer, den man dem versandenden Hafen von Aigues-Mortes vorgesetzt hatte, erwachte ungläubig wie ein Kind. Und seine Gefährten erwachten.
Jetzt ging es auf die große Reise.
Henri hätte gern vor dieser unabsehbaren Weite, die in den kommenden Tagen vor ihm lag, die Augen verschlossen, vor diesem gefährlichen Glanz von Süden her, der lockte wie eine verführerische Frau, vor diesem Abgrund hinter dem Horizont.
Aber es waren ja nur die Balearen, die warteten.
Jede Minute der zurückliegenden Tage war angefüllt gewesen mit quälenden Erinnerungen. Ein Leben auf der Flucht war nicht angenehm. Es gab darin so viel Unwägbarkeiten, so viele begangene Fehler. An diesem Morgen der Abreise aus seiner Wahlheimat Frankreich hasste Henri die unbarmherzige Flüchtigkeit der Zeit und hätte sich ein Verweilen gewünscht. Hatte er nicht wie jeder ein Anrecht auf Gottes treue Erde?
Ihr aller Leben war so flüchtig! Wie ausgespien! Und wenn es auch noch mit pausenlosen Gefahren angefüllt war, dann schien es doppelt schwer erträglich zu sein.
Von diesem Gedanken gequält, wurde er nun gänzlich wach. Er sah hinaus auf das Meer. Jetzt erblickte er Uthman, Joshua und Sean, die aus dem Klostergarten zu ihm heraufkamen. Jacques de Charleroi war vor Tagen nach dem portugiesischen Castro Marim zurückgekehrt. Und auch die anderen Freunde und Leidensgefährten aus Frankreich blieben zurück.
Henri spürte ein Glücksgefühl in sich aufsteigen, Glück darüber, solche treuen Gefährten zu haben.
Henri erhob sich. Zu jedem Leben, auch zu seinem, zählte jede unbarmherzige Minute, die man im Ungewissen verweilen musste. Er fürchtete sie, denn niemand wusste, was als Nächstes geschah, niemand, was morgen kam. Und gleichzeitig genoss er jede Minute.
Denn jetzt spürte er es genau. Heute war ein guter Tag zum Überleben.
Historische Nachbemerkung
Der Tod von Papst und König, der Schatz der Templer
und das Exil in Avignon
Henri und Uthman haben den Fluch der Templer vollendet – Papst Clemens V. und der französische König Philipp der Schöne sind tot; die Vernichtung der Templer ist gerächt. Aber wieso residiert der Papst in Avignon und nicht in Rom? Was weiß man wirklich über den Tod der beiden Drahtzieher des Templermordes? Was hat es mit dem sagenhaften Schatz der Templer auf sich? Was ist in diesem Roman historisch, und was ist Fiktion?
Der sagenhafte Schatz der Templer
Wenn es ein Rätsel gibt, das immer mit dem Templerorden verbunden sein wird, dann ist es die Frage nach der Existenz des legendären Ordensschatzes. Dass der Orden sehr reich war, zeigt sich insbesondere an dem gewaltigen Landbesitz, über den die Templer im Abendland, aber auch im Heiligen Land verfügten. Zahllose Schenkungen von Fürsten und
Weitere Kostenlose Bücher