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Der König muß sterben

Der König muß sterben

Titel: Der König muß sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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Kerker zurückkehrte, der im Moment nur zwei »Insassen« beherbergte, sah er, wie ein Fremder auf dem weit genug entfernten Kirchhof eine Kutsche bestieg. Er trug hautenge, weiche Stiefel bis über die Oberschenkel und ein halb langes rotes Surkot als Rock, der aus einem teuren Stoff bestand. Das musste der Besucher der Hexe gewesen sein, von dem er nur die Stimme kannte. Die von vier schwarzen Rappen gezogene Kutsche setzte sich in Bewegung und fuhr rasch nach Süden in Richtung Avignon davon.
    Moreau öffnete die hintere Außentüre des Karzers und schloss sie hinter sich sofort wieder. Er stieg zwanzig Kellerstufen hinab und betrat einen von Wandfackeln erhellten Raum. Darin standen vier vermauerte, knapp mannshohe Öfen, von denen zwei in Betrieb gehalten wurden. Feuerschein drang ebenso heraus wie ein Glucksen und Brummen.
    »Und?«
    Moreau winkte ab. »Alles in Ordnung. Sie macht es bis morgen früh.«
    »Dauert es so lange?«, fragte Henri de Roslin enttäuscht, denn er war einer der beiden Arbeiter an den Öfen.
    Uthman drehte sich um, schweißüberströmt, das Gesicht gerötet. »Es ist schon gut. Bis dahin sind wir mit der Masse so weit. Ich brauche noch Holz.«
    »Herrgott, braucht unser Amalgam denn Sonnenstrahlen?! Du benötigst immer noch mehr Hitze.«
    »So viel wie möglich. Sonst geht es uns so, wie der Minnesänger Heinrich von Toledo einst sang – er hat lang gechalemaiet und viel verthan!« Uthman ließ lachendden Blasebalg ins Feuer fauchen, die inneren Silberbleche des Ofens glühten selbst wie Feuer. »Die erste Rötung färbt bald!«, rief er.
    Während der dicke Kerkermeister Holzscheite herantrug und in die untere Feueröffnung warf, trat Henri näher. Hinter dem kleinen Sichtglas im kegelförmigen Ofendach aus gebranntem Ton schimmerte roter Wachs. Als Uthman um den Ofen herumging und einen Hahn aufdrehte, verließ eine ölig fließende, aber kristallklare, wässrigrote Flüssigkeit den Ofen. Uthman fing sie in einer Silberschüssel auf und trug sie zu einem Destilliergerät im Hintergrund. Es wurde noch einmal erhitzt.
    Als ein Fackelschein auf die Glasphiole fiel, in die es tropfte, leuchtete die Flüssigkeit wie ein roter Edelstein. »Es dringt in jedes andere Metall ohne Schmelzen ein«, sagte Uthman ehrfürchtig. »Und wie ein unsichtbares Gift in den Leib.«
    Henri schüttelte sich leicht. Das ganze Brimborium im Keller war ihm höchst zuwider, es widersprach seiner ethischen Erziehung von Ehre und Gewissen zutiefst. Aber er wusste ja, wozu Uthman es anstellte. Er sagte: »Brauchen wir dann überhaupt noch das flüssige Eisenkraut der Hexe?«
    »Ja. Nur mit diesem Zusatz verdampft es uns nicht, und nur damit kann es getrocknet und zu Pulver verrührt werden – sonst bleibt es eine unstete Menge, die zu viel Quecksilber enthält und zu zähen Schwefel.«
    »Ich bewundere deine Kenntnisse, Uthman. Was würde ich ohne dich anfangen!«
    »Ich arbeite weiter. Wir brauchen noch viel Flüssigkeit, denn es fällt auf unglaubliche Weise in sich zusammen und wird in feinste und kleinste Teilchen zerlegt, wenn es mit Verbena officinalis zusammentrifft. Jedenfalls spricht mein schlaues Büchlein so.«
    Erst gegen Morgen hörte Uthman auf zu arbeiten. Sein Gesicht war aufgequollen, mit verbrannten Stellen, die Augen tränten. Henri schreckte, sitzend an die Wand gelehnt, empor, er war eingenickt. Es klopfte an der Tür.
    Jetzt kam auch der Kerkermeister von der anderen Seite hereingeschlurft, er schlief in einer der leeren Zellen. Er gähnte wie ein Löwe und öffnete. Die Hexe stürmte in den Keller und stellte dann ganz vorsichtig ein rotes Pulver auf den abgewetzten, schmutzigen Holztisch.
    Ehrfürchtig betrachteten es die drei anderen.
    Henri sagte: »Ist es…?«
    »Ja«, antwortete sie schnell.
    Uthman nahm das Fläschchen, ging zum Destilliergerät und füllte es ein. In der oberen, bauchigen Flasche, dem so genannten Mohrenkopf, begann es zu fauchen und zu schäumen. Als die Männer schon befürchteten, das Glas könnte zerspringen, fiel die Masse in sich zusammen. Es begann zu dampfen. Nach einer Weile schneite im Glaskolben ein farbloses Pulver herab, zwar nur ein kleines Häufchen, aber die Hexe hob den Finger.
    »Gebt Acht! Wenn es ein gutes Werk war, dann reicht schon die bloße Berührung, um einen friedlichen Abschied zu feiern! Allerdings geschieht das erst Tage später – aber so wolltet Ihr es ja.« Sie lachte ein wohltönendes Lachen, das ganz im Gegensatz stand zu einem

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