Der König muß sterben
de Got – zum päpstlichen Kaplan, später zum Bischof von Comminges und schließlich zum Erzbischof von Bordeaux ernannte. Als ich gerade einundzwanzig war, ja, ich erinnere mich genau, es war der Tag vor meinem Geburtstag, da gab Bonifatius eine Bannbulle heraus, die er Clericos laicos nannte. Darin verbot er den Angehörigen der Kirche, in irgendeiner Form Steuern an einen weltlichen Herrn zu zahlen. Vorausgegangen war nämlich ein Übergriff Philipps, den man schon damals den Schönen nannte – sicher mit mehr Recht als heute. Er hatte Steuern auf kirchliche Güter erhoben, ohne die Zustimmung des Heiligen Stuhls einzuholen.«
»Es ging immer um Macht und Geld, nicht wahr? Und wo blieb der wahre Glauben?«
»Den wahren Glauben vertrat der Papst. In einer weiteren Bulle mit dem Namen Unam sanctam schrieb er: Für die Erlösung der Menschheit ist es unerlässlich, dass jedes menschliche Geschöpf dem römischen Pontifex maximus Untertan sei.«
»Also auch der König. Aber was geschah mit Bonifatius?«
»Nach der zweiten Bulle rief Philipp ein Konzil zusammen, das den Papst verurteilen sollte. Wo ich davon spreche, fällt mir auf – mein Gott, es ist haarsträubend…«
»Was denn?«
»Der Papst sollte wegen der gleichen Verbrechen verurteilt werden, die das Königshaus dann den Tempelrittern vorwarf – Ketzerei, Blasphemie, Sodomie, Simonie, Verkehr mit Geistern und Dämonen! Es wiederholt sich, es ist unglaublich!«
»Was geschah dann?«
»Der Papst entwarf eine neue Bulle, um den König zu exkommunizieren. Philipp antwortete mit Waffen. Mit Hilfe antipapistischer Söldner nahmen seine Minister Thiery di Hirecon und Jacques de Jasseines und sein kirchenfeindlicher damaliger Kanzler Guillaume Nogaret den Papst in seinem Sommer sitz in Anagni bei Rom gefangen. Zwar versuchten die Einwohner des Ortes, Bonifatius zu befreien, was angeblich auch gelang, aber er starb an den Folgen der Ereignisse, denn er war bereits sechsundachtzig Jahre alt.«
»Ein solches oder ähnliches Schicksal will Clemens also nicht erleiden, deshalb schlägt er sich gleich auf die Seite des Königs.«
»Und opfert bedenkenlos seine Brüder.«
Im Morgengrauen kamen sie in Montfaucon an, einem kleinen Ort, in dem sich rund um eine Kampfarena aus römischer Zeit freundliche, blumengeschmückte Häuser duckten.
Henri zog den Zettel aus dem Mantelsack, den Raimundus ihnen gegeben hatte. Sie fanden ohne Mühe die angegebene Anschrift. Als die beiden Männer davor hielten, erschraken sie zu Tode.
Das Gebäude aus grauem Gestein mit den winzigen, länglichen Fensterhöhlen war nichts anderes als der städtische Kerker.
5
Ende April 1314, Dies Irae
Man nannte die Frau nur »Die Hexe von Chalois«. Wie sie zu diesem Namen gekommen war, wusste sie allein.
An diesem Tag schrie sie. Wenn sie ihren ängstlichen oder auch rachsüchtigen Besuchern sonst immer mit ruhiger Grabesstimme die Wahrheit gesagt hatte, diesmal schien sie die Kontrolle über sich zu verlieren. Und sie schrie: »Es ist, als ob die christliche Welt für ihre Taten bei der Ermordung der Tempelherren büßen müsste! Den ganzen Frühling hat es hier geregnet, die Felder sind jetzt aufgeweicht. Ich sehe es ganz deutlich! Im Herbst werden die Ernten verrottet sein, das Vieh ertrinkt oder stirbt vor Hunger und unter seltsamen Krankheiten. Eine ungeheure Hungersnot wird ganz Europa heimsuchen, und mehr als ein Drittel der Menschen wird den Hungertod sterben! Vom Himmel fallen Feuer und giftige Dämpfe, danach breitet sich Dunkelheit vor den Augen und in den Herzen der Menschen aus.«
Ihr Besucher sagte streng: »Das solltest du nicht zu laut sagen, oder willst du auf dem Scheiterhaufen enden? Lass dir etwas anderes einfallen! Sag, die Tage des Gottesgerichtes waren ein Segen für alle, und die Menschen sind voller Hoffnung über die geschehenen Wunder! Was siehst du noch?«
»Ich sehe nur Dunkelheit, aber ich höre Worte der Vernichtung. Die brennenden Großmeister der Tempelherren haben zur Vesperstunde einen Fluch ausgestoßen, der sich erfüllen wird. Sie haben im Feuer, während sich ihr sterbender Blick über die königlichen Gärten und die Sainte Chapelle hinweg auf die Türme von Notre Dame richteten, die Pest auf König Philipp und alle seine Nachfahren herabgewünscht. Und auch auf den Heiligen Vater. Sie prophezeiten, dass sie Papst und König innerhalb Jahresfrist vor dem Richterstuhl Gottes wieder treffen würden…«
»Das ist keine
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