Der König muß sterben
Oberkörper des vor ihm Sitzenden, die schmalen Schultern, den vorgewölbten Bauch. Der Papst besaß schon schlaffe Haut, obwohl er erst im fünfzigsten Lebensjahr war. Uthman hatte plötzlich Mitleid. Sollte er diesen Mann wirklich töten? Konnte er es tun?
Ich töte ihn nicht, dachte er dann, um seine Hinfälligkeit abzukürzen. Ich töte ihn wegen der Tausenden, die er Marter, Willkür und Tod preisgegeben hat. Man darf kein Mitleid mit den Mächtigen haben, wenn sie Macht übertreten.
Allah sagt, übertretet nicht. Allah liebt nicht diejenigen, die übertreten.
Aber dieser hier hat seine Macht missbraucht. Man sieht ihm die Schuld nicht an. Aber er ist schuldig.
Er begann, den Oberkörper des Papstes abzutasten. Überall sanken seine Finger im hinfälligen Fleisch ein. Die Untersuchung führte zu keinem anderen Ergebnis als dem, das er schon besaß.
Wieder sinnierte der Papst: »Wir verfügen über die ars moriendi, aber dennoch fällt es uns schwer, den Tod, den wir fühlen, auch zu akzeptieren.«
Ritter Ricard sah seinen Papst erstaunt an, offenbar sprach dieser nicht oft so. Es war, als besäße er eine Art düsterer Vorahnung.
»Ich lasse Euch ein Pulver zerreiben. Euer Leibmedicus soll prüfen, ob es aus heilsamen Stoffen besteht. Sicher kennt er die Ingredienzien, obschon ich bezweifle, dass er die Mischung kennt.«
Uthman wollte keinen Fehler machen. Deshalb schrieb er leicht leserlich auf einen Zettel verschiedene Kräuternamen auf, die er beim Hereinkommen im Bestand des Gartens wahrgenommen hatte. Sie führten zu einem Abführmittel. Ein Bote wurde hereingerufen und verschwand mit dem Rezept. Nach einer Weile kam er wieder und sagte: »Der Medicus ist einverstanden, bezweifelt jedoch, ob es hilft.«
»Wir werden sehen«, sagte Uthman. Sein Mittel gegen Leibkrämpfe hatte er von seinem Vater. »Lasst es nun zerreiben und zu einem Sud aufkochen. Es muss heiß getrunken werden.«
Während sie warteten, ließ ihn Papst Clemens nicht aus den Augen. Er hatte sich wieder angezogen, nur die Tiara fehlte. »Sagt mir, Sarazene, was tun die arabischen Ärzte anderes als die unsrigen? Wir kennen nicht viel mehr als den Aderlasskalender, der auf astrologischen Beobachtungen fußt – und Ihr?«
»Nun, Austausch der Körpersäfte, die mit dem pünktlichen Aderlass zur rechten Zeit erzeugt werden, ist das eine«, erwiderte Uthman. »Aber zu häufiger Blutentzug führt zur Schwächung, nicht zur Stärkung des Körpers. So wird niemand gesund.«
»Aber unseren Ärzten und Badern fällt nichts anderes ein! Stärkung durch Speise und Trank, Aderlasswein, Weißbrot, dreitägige Ruhe. Und das sechsmal im Jahr. So schreiben es die Regima sanitatis, die Gesundheitsregeln, vor. Sie sagen, dass betrübtes Herz, häufiger Zorn und freudloses Gemüt lebensverkürzend sind und Fröhlichkeit langes Leben bringt – aber sie wissen nicht, wie sie es behandeln sollen.«
Uthman hütete sich davor, überlegen zu grinsen. »Hoher Herr Papst, ich will Euch gewiss keine Ratschläge erteilen, aber Eure Ärzte scheinen wirklich nicht viel zu wissen. Ich bekam die Grundregel eines Medicus im Westen mitgeteilt: Wer am Abend trinkt, dass er sich kaum auf den Beinen halten kann, der soll am Morgen wieder trinken, damit er länger lebt. Mit solchen Ärzten wird kein einziges Leben wirklich verlängert.«
»Alles liegt in Gottes Hand«, brachte sich Herr Ricard ein.
»Und Ihr, Sarazene?«, fragte Clemens. »Was habt Ihr uns zu bieten?«
»Ich bin nur ein kleiner Medicus, Herr. Eigentlich bin ich Korangelehrter. Aber diese beiden Gebiete des Lebens sind bei uns nicht getrennt – nicht so, verzeiht, wie bei Euch. Unsere Medizin befindet sich nicht im Gegensatz zu unserem Glauben, sie befindet sich deshalb weit voraus, weil wir keine Verbote kennen, zu forschen, um der Menschen willen. Denn verzeiht noch einmal – wir haben die antiken Schriftsteller nicht vergessen, sondern wieder zum Leben erweckt.«
»Und – was sagen die antiken Schriftsteller?«
»Sie sagen, dass ein Arzt vor allem Fingerspitzengefühl haben muss. Und das bei allen Untersuchungen. Besonders aber bei Gehirnoperationen, die ihr Christen überhaupt nicht kennt. Wir wenden das Trepanieren regelmäßig an – in Europa führt es auf den Scheiterhaufen.«
»Köpfe zu öffnen ist eine Sünde! Es verstößt gegen den Plan der Schöpfung! Was Gott, der Herr, zusammengeführt hat, soll der Mensch nicht trennen!«
Uthman erklärte unbeeindruckt: »Es hilft aber.
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