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Der König muß sterben

Der König muß sterben

Titel: Der König muß sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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mit dem Gold, das ich Euch versprach! Ihr sollt es haben. Und nun lebt für heute wohl, die Einsamkeit ist mir jetzt lieber als die Gegenwart von Feindseligen.«
    Der Papst hob die Hand. »Das Misstrauen richtet sich nicht gegen Euch. Ich sagte ja, wir vollziehen diese Probe fare assazium immer, sie ist seit unserem verehrten Vorgänger, dem seligen Bonifatius dem Achten, üblich. Bleibt also. Aber wenn Ihr wollt, könnt Ihr nach Beendigung der Probe gehen. Zieht Euch danach zurück, wenn Ihr wollt. Aber jetzt setzt Euch wieder! Ihr seid Gast des Papstes – wollt Ihr Euch daran erinnern?«
     
     
    Henri de Roslin stand noch immer in seinem dunklen Zimmer, angespannt wie ein Raubtier auf dem Sprung. So hatte er schon ganze Nächte lang auf Kriegszügen verbracht, die Sinne geschärft, den Körper ohne Ermüdungserscheinungen hoch aufgerichtet. Ohne einen Laut zu verursachen. Die Geräusche von unten dagegen wurden lauter. Das Lachen von Betrunkenen stieg zu seiner Stube herauf, es klang wie ein Hohnlachen über die Vergeblichkeit seiner Pläne. Henri wischte diesen Eindruck fort. Er spürte seine Waffe an der Seite. Und er spürte seinen eiskalten Mut. Entschlossenheit stieg in ihm auf.
    Und dann trat er ans Fenster. Er konnte sehen, wie sich im Stall gegenüber sein Reittier bewegte. Es war unruhig und schnaubte.
    Henri löschte die flackernde Wachslampe im Zimmer nicht. Er öffnete das Fenster, trat auf den Sims und schloss es hinter sich. Dann sprang er. Unsanft landete er auf dem Boden, aber sein geschmeidiger Körper federte den Aufprall mühelos ab. Henri holte sein Tier, schwang sich in den Sattel, gab die Zügel frei und ritt wie ein Krieger in der Attacke nach Norden. Seinen Schlachtruf »Beausânt à la rescousse!« ließ er jedoch nur lautlos in seinem Inneren ertönen, denn er trug auch sein schwarz und weiß geteiltes Banner, auf das er sich bezog, nicht.
    Es war ihm gleich, ob jemand ihn im vollen Ornat der Tempelritter bemerkte. Er war wieder in Feindesland. Und sein Freund brauchte vielleicht Hilfe. Das ließ ihn alle Rücksichtnahme vergessen.
     
     
    Uthman wurde auf den Sitz zurückgedrückt. Er sah in gerötete, feindselige Gesichter. Die päpstlichen Ärzte gaben bereits Anweisungen, wie mit der Giftprobe weiter zu verfahren sei.
    Wieder beugten sich alle über die Schale mit dem rot funkelnden Wein. Verfärbte sich nicht der Haifischzahn in diesem Moment blutrot? Der Mundschenk zog ihn mit triumphierender Miene heraus, als Beweis, dass es niemals ohne seine prüfende, das Leben seines Herrn schützende Arbeit ging.
    Dann steckte er den Zahn mit allen Anzeichen sichtbarer Enttäuschung wieder in die Silberschale zurück.
    Uthman atmete auf. Aber er überlegte weiter fieberhaft, was er als Nächstes tun musste. Henri de Roslin – steh mir bei!
    Die Zeit verging. Die Speisen wurden abgeräumt und aufgewärmt. Dann zog der Mundschenk den Haifischzahn heraus, untersuchte von allen Seiten, ob er sich verfärbt habe, und verkündete:
    »Die Giftprobe ist beendet. Es gibt kein Gift in diesem Wein und damit auch nicht im Pulver des Sarazenen. Sein Pulver ist ungefährlich.«
    Der Papst legte Uthman die Hand auf den Arm. »Ihr könnt gehen, wenn Ihr wollt. Aber ich bitte Euch – kommt wieder! Mit oder ohne Gold, das ist mir egal. Nur, bleibt mit den Kenntnissen Eurer arabischen Medizin in meiner Nähe!«
    Uthman spürte die Kälte des Todes neben sich und erschauerte. Und während er leicht taumelnd aufstand, nahm der Papst die Silberschale in seine beiden Hände und trank mit großen Schlucken. Uthman ging wie im Traum zur Tür, die ihm geöffnet wurde. Hinter ihm entstand freudiger Lärm, und er vernahm noch die Stimme des Papstes, der rief:
    »Mehr Wein und Wildbret! Alles mundet so wunderbar! Welch ein gesegneter Tag!«
    Uthman passierte die Flure des Palas. Flügeltüren gingen auf und wurden hinter ihm zugeschlagen. Er bemühte sich, ganz langsam und würdevoll über die schweren Wollteppiche zu gehen. Er holte seine wenigen Sachen, ließ im Vorhof sein Pferd satteln, und als der Mond mit seiner waagerecht liegenden Sichel hinter einer schwarzen Wolke auftauchte, bestieg er sein Reittier und trabte polternd über das Kopfsteinpflaster zur Torhalle.
    Dahinter lag das Fallgitter an der Zugbrücke. Es wurde erst direkt vor ihm mit einer Winde hochgezogen, als er hindurchritt, schwebten dicht über seinem Kopf einen Augenblick lang die spitzen, grässlichen Sparren des Gitters wie das aufgerissene

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