Der König von Berlin (German Edition)
mussten sie improvisieren, wie immer in Berlin, aber es funktionierte doch so gut, dass jeder Regierende Bürgermeister mit Machallik kooperierte. Ab Willy Brandt war er dann sogar ganz dicht dran an den Machthabenden.»
Lanner überlegte, ob er sich Notizen machen sollte, hatte aber Sorge, dass ihm das bei Rimschow Minuspunkte einbringen könnte. Und er war sich nie ganz sicher, ob der alte Polizist nach den langen Pausen, wie er gerade wieder eine machte, weitererzählen würde. Er starrte auf den See, als Lanner ihn mit einer Frage zurückholte.
«Heißt das, Machallik hat den Berliner Senat erpresst?»
«Erpressung in dem Sinne war überhaupt nicht notwendig. Wir sind hier nicht bei der Mafia oder Camorra. Vielleicht hat die Stadt hier und da mal eine Art vorauseilendes Honorar gezahlt. Irgendwas in der Richtung ist schon vorstellbar. Aber wirklich krimineller Handlungen bedurfte es eher selten, denn die politisch Verantwortlichen waren ohnehin meist realitätsnah und pragmatisch, das heißt: zugänglich. Hatten das, was man im Wahlkampf einen guten Draht zur Wirtschaft nennt.»
Lanner pfiff durch die Zähne. «Ich glaube, Sie sind doch viel verbitterter, als Sie das zugeben wollen.»
Rimschow lachte herzlich auf. «Aber natürlich bin ich verbittert. Das ist wohl mein gutes Recht nach so vielen Jahren im Staatsdienst. Wobei mir desillusioniert besser gefällt als verbittert. Das klingt jünger, idealistischer.» Er schaute wieder auf den See. «Herr Lanner, Sie würden es nicht für möglich halten, für was für Preise in dieser Stadt in den letzten fünfundzwanzig Jahren außerordentlich attraktive Grundstücke verscherbelt wurden, was für Baugenehmigungen man so erteilt hat oder welche Konditionen die Berliner Landesbank guten Geschäftspartnern einräumte. Als der Chef der Olympia-Bewerbung diese vollkommen dilettantisch gegen die Wand fuhr und mit seinen Bespitzelungsdossiers über die IOC-Mitglieder das Ansehen Berlins in der Welt massiv beschädigt hatte, wurde der nicht etwa zum Teufel gejagt. Nein, man hat ihn zum Chef der S-Bahn gemacht, damit er die auch noch schnell zugrunde richtet. Was ihm mit Hilfe einiger Freunde auch gelungen ist. Aber wir kommen vom Thema ab. Den Hauptgewinn hab ich ja noch gar nicht erwähnt.»
«Den Hauptgewinn?»
«Der Megamonsterhauptgewinn für Berlin, aber ganz besonders für unsere drei MaMMas: der Fall der Mauer. Und damit der Neubau einer Stadt in der Stadt. Die komplette Mitte Berlins wurde aufgerissen und neu hochgezogen. Was das für Maschmann und seine Baufirma bedeutete, muss man nicht erklären. Machallik ließ sich von seinem Freund wieder ein unterirdisches Schnellwegenetz für die Ratten bauen, nun allerdings perfekt, kein Provisorium mehr, sondern ein System, das, wenn man es denn steuern kann, die Ratten fast punktgenau zu leiten vermag. Hat Machallik zumindest behauptet.»
Lanner stutzte. «Das hat Machallik Ihnen erzählt?»
«Erst sehr viel später. Kurz vor seinem Tod. Außerdem hatte nun die Bundesregierung ihren Sitz hier, dazu Diplomaten und Firmen aus aller Welt, wodurch sich noch einmal ganz neue Dimensionen der Einflussnahme für unsere Freunde auftaten. Es ist nämlich nicht schön, wenn mitten in einer wichtigen Produktpräsentation bei Mercedes oder Sony Ratten im Hof tanzen. Oder kurz vor einem großen Empfang durch die Botschaftsküche huschen. Wenn man kann, versichert man sich doch lieber gegen so etwas. Die Möglichkeiten für MaMMa schienen plötzlich unbegrenzt.»
«Hat denn nie jemand versucht, Machallik einfach auszuschalten?»
«Das war eben das Allerklügste an seinem System. Er hat immer wieder damit gedroht, dass die Stadt im Rattenchaos versinkt, wenn er verschwindet oder stirbt. Wie ein Bankräuber, der eine Bombe am Leib trägt, die explodiert, falls jemand auf ihn schießt. Mit unabsehbaren Folgen. Niemand wagte, dieses Risiko einzugehen. Zumal Machalliks Forderungen ja nicht unerfüllbar waren.»
Rimschow verstummte und lehnte sich zurück. Diesmal jedoch wollte Lanner keine minutenlange Pause abwarten: «Bis Markowitz sich gegen seine beiden alten Freunde gestellt und ihnen den Hauptkommissar Rimschow auf den Hals gehetzt hat.»
«Nach Markowitz’ Verschwinden wollte ich direkt bei Maschmann und Machallik ermitteln. Doch der neue Polizeipräsident pfiff mich zurück. Davon hab ich mich natürlich nicht abhalten lassen. Maschmann ließ einfach seinen Anwalt, Dr. Kersting, auf mich los, aber mit Machallik begann
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