Der König von Berlin (German Edition)
tunkte sie in die Soßen und aß mit Genuss. Die Männer waren für den Moment ohnehin eher mit sich beschäftigt.
«Wir hatten uns darauf geeinigt, dass ich erzähle.» Der Dicke hatte vor lauter Wut sogar vergessen, sich vor dem Sprechen Chips in den Mund zu schieben.
«Bei mir wär’s aber lustiger jeworden.»
Mario blieb angriffslustig, doch Mike, der wohl so was wie Autorität in der Gruppe besaß, sprach ein Machtwort: «Eine lustige Geschichte ist das nun echt nicht. Und jetzt lass Jimi erzählen.»
Jimi war zufrieden und fand auch problemlos den Faden wieder. Nachdem er Chips nachgeladen hatte, sprudelte er los: «Jedenfalls hat Kaminski dann erzählt, er hätte sehr viel geschrieben, aber eben nie unter seinem Namen. Er sei Ghostwriter, und dann hat der gar nicht mehr aufgehört, Buchtitel aufzuzählen, und Rico hier», er zeigte auf seinen hochgewachsenen Freund, der als Einziger bislang noch gar nichts gesagt hatte, «der kannte die alle, weil, Rico hat das Reisebüro am Ende der Straße, und da hat er viel Zeit zu lesen, weil, hier verreist ja keiner, und wenn die Förderung ausläuft, macht er dit auch wieder zu und was anderes auf, irgendwas, wasse dann hoffentlich wieder fördern. Was willste machen? Kannst ja nicht viel machen …»
«Jimi!»
Mike rief ihn zur Ordnung, und Jimi verstand sofort. «Genau, ich schweife ab, die Wirtschaftskraft von Wilhelmsfelde interessiert Sie wohl eher peripher, und ist ja auch eher peripher, die Wirtschaftskraft …» Er nahm noch einen Schluck Bier und drückte sich dann zur Abwechslung mal acht Salzstangen zwischen die Zähne.
«Also Rico sagt, er glaube ihm nicht, weil, so viele Bücher könne keiner schreiben, und wenn, dann wäre er ja ganz reich, und der Kaminski sagt, er sei ganz reich, und Rico sagt, so sehe er aber gar nicht aus, und er sagt, das genau sei ja der Trick: dass er unauffällig bleibe. Dass niemand von seiner Existenz wisse. Dass es ihn praktisch gar nicht gebe und dass man ihm nicht anmerke, wie brillant und wichtig und vor allem reich er sei, und wenn er erst in der Märkervilla wohne, dann könne er uns alle einstellen, als Koch und Chauffeur und Gärtner und was nicht alles. Und dann wurde er immer betrunkener und großmäuliger, hat angegeben, wie genial und scheißreich er sei. Und wir auch immer betrunkener. Und Mike sagt, der Kaminski könne ja viel erzählen, und wahrscheinlich sei das seine beste Geschichte, wie er all die erfolgreichen Bücher geschrieben habe und so. Aber sie sei eben auch nur ausgedacht, und dann ist es passiert.»
Markowitz hatte das Gefühl, dass Jimi selbst erschrocken war, nun plötzlich an diesem Punkt der Geschichte angelangt zu sein. Die vier Männer schauten beschämt und schuldbewusst zu Boden. Von einem Moment auf den anderen herrschte völlige Stille. Niemand, nicht einmal Mario, schien erzählen zu wollen, was dann geschehen war. Es blieb still. Von sich aus würden die Männer sich offenkundig nicht wieder aus dieser Schockstarre befreien können, deshalb gab Markowitz ihnen einen leichten Schubs: «Sie sind in Streit geraten?»
Jimi wiegte den Kopf. «Ja, so eine Art Streit war das vielleicht auch, aber das war nicht das Schlimme.»
Markowitz, die gerade ein paar Pommes aufspießen wollte, ließ die Gabel sinken. «Gut, aber was war dann das Schlimme?»
Jimi schaute sie ratlos an, stattdessen antwortete der Wirt: «Er hat uns dann einfach so das Geld gezeigt. Das viele Geld.»
Endlich war es raus. Es war fast wie eine Befreiung für die vier Männer.
«Dit musste dir ma vorstellen!» Mario standen beinah die Tränen in den Augen. «Über zwanzigtausend Euro! Dit hatte der einfach so inne Tasche. Also in den Taschen. Von überall her holte der plötzlich Geldscheine raus, bündelweise. Und noch mehr und noch mehr und noch mehr. Über zwanzigtausend Euro. Bar. Musste dir vorstellen. Und ick hatte mir schon jefragt, wieso der so vollgestopfte Hosentaschen hat. Allet voller Geld.»
Auch Mike schluckte jetzt. «Echt! Das war echt … Also, von uns konnte keiner mehr sprechen. Nicht mal Mario. So viel Geld hat keiner von uns vorher jemals live gesehen. Das war echt unheimlich. Mausestill war das hier! Mausestill!»
«Das hat der natürlich auch gemerkt.» Erstmals ergriff Rico das Wort. Er hatte eine recht hohe, aber freundliche Stimme, und es war schnell zu hören, dass er kein gebürtiger Wilhelmsfelder war. Nicht mal Berliner oder Brandenburger, eher Franke, wenn nicht gar Österreicher.
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