Der König von Berlin (German Edition)
niemals albern vorkommen. Selbst Todesangst ließ sich tatsächlich noch steigern.
Dann ein Geräusch, das er nur zu gut kannte. Ein Geräusch, das sich extrem gut einprägte. Eine Waffe, die entsichert wird. Es sollte das Letzte sein, was er hörte.
S chlagartig war eine fast gelöste Stimmung im «Gasthaus zur Buche» entstanden. Der Wirt holte neues Bier, Chips, Salzstangen, Pommes, Ketchup, Mayonnaise, zwei Colaflaschen und ein frisches Glas für Carola Markowitz. Dann, als alle saßen, schauten sie erwartungsvoll zum Dicken, dem «Gehe-ich-recht-in-der-Annahme»-Frager, den sie vorher offenbar als Sprecher ausgesucht hatten. Der nahm sich irritierenderweise noch eine Handvoll Chips und begann, mit vollem Mund zu erzählen: «Es dämmerte bereits, als Kaminski den Schankraum der Gaststätte betrat.»
Markowitz hoffte schon jetzt auf eine möglichst geringe Zahl von st-Lauten in seiner Erzählung, da es bei «Gaststätte» Chipskrümel geregnet hatte.
«Wir vier waren in dieser so schicksalsträchtigen Nacht die einzigen Gäste. Wie jeden Donnerstag spielten wir Skat. Kaminski aß, trank etwas und fragte dann, ob er bei uns mitspielen könne. Keiner von uns wollte das, aber trotzdem ließen wir ihn, wie es denn manchmal so ist. Er war wirklich kein guter Spieler, dafür redete er ununterbrochen. Dass er sich vielleicht hier ein Haus kaufe, das alte Märkerhaus, das wir sicher kennen würden, dann wären wir Nachbarn, dann könnten wir häufiger spielen, darauf freue er sich schon, und so weiter und so fort. Wir ließen es über uns ergehen, auch weil er viel trank und Runden spendierte und Mike den Umsatz ja gut brauchen konnte. Außerdem dachten wir natürlich, er würde bald aufbrechen und den letzten Zug nehmen.»
Das, was der Dicke von den Chips noch im Mund behalten hatte, spülte er nun mit einem großen Schluck Bier herunter, nahm sich aber direkt im Anschluss wieder eine Handvoll Knabberzeug. Erst dann fuhr er fort. Ganz so, als könne er mit leerem Mund gar nicht sprechen.
«Dann aber fragte er nach einem Zimmer und wollte das beste, und Mike macht noch einen Witz und sagt, ein bestes Zimmer habe er gar nicht, eigentlich habe er nicht mal ein gutes Zimmer, und Mario schickt gleich noch hinterher ‹nicht mal ein mittelschlechtes›, und der Kaminski lacht sich kaputt, sagt, das müsse er sich aufschreiben, weil, er sei nämlich Schriftsteller und so weiter. Die Stimmung war eigentlich gut. Dann fragt Mike …»
«Nee, isch war das, isch hab gefragt.»
Der Dicke schaute den Drahtigen genervt an. «Is doch egal.»
«Nee, find isch nisch egal, wir haben gesagt, wir erzählen das genau und ehrlisch. Manschmal kommt’s denn zum Ende hin nämlich genau auf so Dettaills an.»
«Also gut, dann fragt meinetwegen Mario, was er denn so geschrieben habe, ob man da vielleicht was von kenne …»
«Ach so, nee, das hab isch nisch gefragt, das hat der Mike gefragt, mit was der geschrieben hat.»
«Sag ich doch.»
«Na, das kann isch ja nisch wissen, welche Frage du meinst.»
«Dann quatsch nicht dazwischen.»
«Isch dachte, du meinst, wie isch gefragt hab, ob er auch fließend Wasser auf dem Zimmer will, weil, dann muss er nämlich, wenn’s regnet, das Fenster aufmachen …»
Mario schüttete sich aus vor Lachen, Mike, der Wirt, sprach ruhig in Richtung Carola. «Alle meine Zimmer haben fließend Wasser, warm und kalt, die Hälfte, also vier, sogar ein eigenes Bad.»
Mario war nun beleidigt. «Das weiß ich doch, ich hab das doch als Witz gemeint, verstehste, ein Wiihhiitz!» Er warf die Arme in die Luft. «Versteht er nicht!» Dann beugte sich der drahtige Mario noch näher zu Markowitz. «Wissen Sie, wie dit is? Freunde zu haben, die von ungefähr zwanzig Witzen, die man erzählt, nur ungefähr zwei bis zweieinhalb verstehn? Ein Scheißleben ist das!»
Carola Markowitz starrte ihn an und konnte es kaum fassen. Vor nicht einmal fünfzehn Minuten hatte sie diesen Männern noch einen kaltblütigen Mord zugetraut. Wobei, als völlig harmlos würde sie sie auch jetzt noch nicht einstufen. Vielleicht kein kaltblütiger Mord, aber einer aus Versehen oder aus großem Ärger oder einem Missverständnis heraus, das hielt sie allemal für möglich, wenn nicht gar für wahrscheinlich. Um Mario nicht antworten zu müssen, tunkte sie zwei Pommes ins Ketchup, dann in die Mayonnaise und schob sie sich in den Mund. Erstaunlicherweise schmeckten sie tadellos. Sie nahm die Gabel, spießte gleich drei weitere auf,
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