Der König von Berlin (German Edition)
feierlich: «Also gut, ich höre.»
S ein Herz schlug bis in die Schläfen. Noch immer hatten die Frauen kein Wort gesagt. Nicht ein einziges. Irgendwann mussten sie doch etwas sagen. Oder wurde er zu jemandem gebracht, der mit ihm reden wollte und dem daran lag, dass sie ihn zuvor ausreichend einschüchterten? Nun, dieses Ziel wäre erreicht. Er war eingeschüchtert. Lanner konnte kaum gehen, so sehr zitterte er. Es war ihm unangenehm.
Sie gingen durch einen Wald, da war er sich sicher. Das konnte er riechen, auch durch den schwarzen Stoffbeutel hindurch. Außerdem spürte er es bei jedem Schritt. Ohne Frage war das Waldboden. Warum brachte man ihn in einen Wald? Es musste ein bestimmter Wald sein, denn sie waren wirklich sehr lange gefahren. Wald war auch da gewesen, wo sie ihn überfallen und in den Kofferraum gelegt hatten. Jede Menge Wald sogar. Also nur für Wald hätten sie nicht so weit fahren müssen. Sie wollten demnach zu einem bestimmten Wald oder zu einem bestimmten Punkt in dem Wald. Das war ein gutes Zeichen. Dann steckte höchstwahrscheinlich nicht der Geflügelbaron Dierksen dahinter. Dem wäre doch der Wald für seine Abrechnung völlig egal gewesen. Aber was konnten diese Frauen dann von ihm wollen?
Das Klebeband auf seinem Mund schmerzte. Und auch seine neue Lage war alles andere als angenehm. Blind durch den Wald gezerrt zu werden, mit einem Beutel über dem Kopf, an einem Seil, dessen Schlinge man um seinen Hals gelegt hatte, und mit den eigenen Handschellen gefesselt – das war definitiv keine Verbesserung. Vor jedem Schritt hatte er Angst. Furchtbare Angst vor dem Ungewissen. Aber wie hätte er sich wehren können? Er konnte hier keine Entscheidungen treffen, er wurde einfach nur gezerrt. Immer weiter und weiter und weiter.
Plötzlich stieß eine Hand gegen seine Brust. Er sollte stehen bleiben. Es verging einige Zeit, und Lanner erinnerte sich, wie er einmal in einem Dunkelrestaurant gewesen war, wo man das Essen nicht sehen konnte. An seine riesige Angst, weil er dachte, seine Begleitung, mit der er vorher einen gigantischen Streit ausgefochten hatte, hätte ihm heimlich irgendetwas Ekliges auf den Teller gelegt. Wie er sich von dieser fixen Idee einfach nicht lösen konnte, und wie unglaublich groß seine Angst geworden war, als er dann den Löffel zum Mund führte, mit etwas, das nach nichts roch. Es wunderte ihn, dass er die gewaltige, alles betäubende Angst, die er jetzt verspürte, eigentlich auch schon dort, in der nun wirklich vergleichsweise lächerlichen Situation, gespürt hatte. Das würde er sich merken, um diese nackte, vollkommene Angst zu empfinden, musste man nicht unbedingt in echter Todesgefahr schweben. Womöglich wäre das interessant für Extremerfahrungsgurus oder die Polizeischule. Stichwort Opferpsychologie und so. Der Grad der Angst hängt nicht allein von der realen Gefahr ab, der man ausgesetzt ist, sondern vor allem von der inneren Bereitschaft, sich dem Gefühl der Angst zu widmen. Was für eine völlig alberne Angst er in diesem Dunkelrestaurant gehabt hatte. Damals hatte ihm seine Freundin tatsächlich heimlich ein Stück festgetretenen Straßendreck auf den Teller geworfen. Sie haben sich dann getrennt. Also, er hat sich getrennt. Noch im Lokal. Was sie allerdings nicht mehr gehört hat, da sie bereits vorher gegangen war, was er wiederum nicht bemerkt hat, weil es ja ein Dunkelrestaurant war. Da hat er sich dann also allein im Dunkeln getrennt.
Zwei starke Hände drückten ihn jetzt nach unten. Auf die Knie, sie wollten ihn auf die Knie zwingen. Lanner verlor das Gleichgewicht und fiel vornüber auf den weichen Waldboden. Die Hände griffen nach ihm und zogen ihn wieder hoch. Er kniete nun und hörte, wie die Frauen um ihn herumgingen. Unablässig gingen sie um ihn herum, als würden sie schweigend ein Spiel spielen.
Dann blieben sie abrupt stehen. Sekunden vergingen, nichts geschah. Bis Lanner plötzlich etwas Hartes an seinem Kopf spürte. Etwas Hartes, das zweimal leicht gegen seine rechte Wange geklopft wurde. Er musste nicht lange überlegen, was das war. Das war eine Waffe, ohne jede Frage, der Lauf einer Handfeuerwaffe. Sein Herz schlug bis in die Füße, bis in die Ohren, bis in die Fingerspitzen. Und ihm war klar: Die Angst, die er jetzt hatte, war doch ein anderes Kaliber als seinerzeit im Dunkelrestaurant. Was immer noch in seinem Leben geschehen würde, wenn noch etwas geschehen würde: Die Angst, die er jetzt hatte, würde ihm später
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