Der König von Havanna
gefahren. An den Straßenecken sammelten sich ganze Müllberge und verströmten ihren Gestank, der Ratten, Kakerlaken und alles Übrige anzog. Es gefiel ihm nicht, bei so tiefer Dunkelheit unterwegs sein zu müssen. Nur die großen Alleen waren etwas beleuchtet. Ein paar Schwarze aus dem Viertel saßen auf der Türschwelle ihrer heißen, kleinen Zimmer, tranken Rum und unterhielten sich friedlich miteinander. Die Leute sagten, schuld an dieser großen Hitze sei El Niño. »Was für ein Kind mag das wohl sein?«, überlegte Rey. Beim nächsten Häuserblock waren fast alle draußen. Sie konnten nicht schlafen und nahmen’s philosophisch; sie suchten die Kühle auf dem Bürgersteig, bis der Schlaf sie übermannte. Unterm Strich arbeitete niemand, niemand hatte feste Termine, keiner musste früh aufstehen. Es gab keine Jobs, und alle lebten so, wie ein Wunder, ohne Eile. Rey ging die Factoría hoch und blieb an der Ecke stehen, wo die Gebäuderuine stand. Immerhin stand sie noch. Alles in Ordnung. »Also, jetzt heißt’s sich entscheiden«, dachte er. Er sah sich um. Niemand in Sicht. Verstohlen betrat er das Gebäude, tappte im Dunkeln die Treppen hinauf und klopfte an Magdas Tür. Niemand antwortete. Das Vorhängeschloss war nicht angebracht, also schlief Magda. Er klopfte wieder und rief ganz leise, die Hände zum Trichter um den Mund geformt, durch eine Spalte: »Magda, Magda … Magdalenaaaa …« Er verharrte noch ein wenig. Schließlich antwortete Magda auf der anderen Seite der Tür: »Wer, zum Teufel, ist da um diese Zeit?«
»Rey.«
»Rey? Rey?«
»Schrei nicht so, sprich leise.«
Magda öffnete die Tür. Sie konnten einander kaum sehen. Im Dunkeln umarmte Magda ihn, küsste ihn wie eine Verrückte und konnte kaum ein Schluchzen unterdrücken, während sie ihn fest an sich presste.
»Rey, mein Lieber, ich dachte schon, man hat dich festgenommen! Ach, Rey, Gott sei Dank bist du zurück!« Rey sagte kein Wort. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte er in seinem Innern etwas unglaublich Schönes, absolut Unerklärliches. Ein unbekanntes, aber wunderbares Gefühl wuchs in ihm. Und er antwortete mit einer formidablen Erektion, fröhlich, total. Die heiterste und glücklichste Erektion seines Lebens. Und sie vögelten wie zwei Wilde, liebten sich wie nie zuvor, hatten einen Orgasmus nach dem anderen, bis der Tag anbrach. Dann schliefen sie ein, wie sie waren, schön schweinisch, verschmiert von Schweiß und Samen und Schmutz und Ruß. Sie schliefen wie zwei glückliche Schweine auf dem ekelhaften Strohsack.
Magda hatte Filzläuse und übertrug sie auf Rey. Aber sie überzeugte ihn davon, dass er sie eingeschleppt und auf sie übertragen habe. Und so blieb alles. Ungeachtet der Filzläuse und Streitereien, blieben sie drei Tage lang eingeschlossen in einem hemmungslosen Wahn aus Liebe, Leidenschaft und Sex. Sie gaben die Dollars aus, die Rey geblieben waren, und ernährten sich von Rum, Marihuana, Zigaretten und Bier. Am vierten Tag hatten sie einen furchtbaren Kater, waren völlig erschöpft, und aufgrund der Krämpfe in den Muskeln glaubte Magda, sie könne schwanger sein. Rey brannte die Eichel seines Schwanzes, und war um die Perlen herum wund. Magda erging es ebenso an Möse und Arsch. Die Filzläuse hatten sich bei all der Hitze und Feuchtigkeit munter fortgepflanzt und fraßen sie bei lebendigem Leib. Der Magen brannte ihnen von Gastritis. Und von seinen Dollars waren ihm nur noch fünfundzwanzig Cents verblieben, umgerechnet fünf Pesos.
Rey steckte die Hand in die Tasche, und als er feststellte, dass er nur noch die kleine Münze besaß, fühlte er sich wohl. In Wirklichkeit hatte ihn das Geld gestört und er nicht gewusst, was er damit anfangen sollte. Ihm fiel sein Geburtstag ein.
»Magda, ist der siebte Januar schon vorüber?«
»Warum?«
»Der siebte Januar ist mein Geburtstag.«
»Sag nur! Wie alt wird denn mein süßer kleiner Junge? Sag schon, dann kann ich für dich eine hübsche kleine Party mit einer Piñata voller Süßigkeiten veranstalten.«
»Ach, nerv mich nicht. Mit dir kann man nicht reden.« Sie ging zu ihm hin. Umarmte und küsste ihn. Sie stanken jetzt wirklich ekelhaft nach all dem Wälzen auf dem verschwitzten Strohsack voller Wanzen und Läuse. Natürlich nahmen sie diese gar nicht wahr. Sie fühlten sich wohl. Magda küsste ihn mit so viel Liebe, dass es ihr gelang, ihn weicher zu stimmen.
»Sag schon, Schätzchen, wie alt wirst du? Ich glaube … mal sehen … Heute ist
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