Der König von Havanna
bisschen fern. Um neun gingen alle schlafen, und er widmete sich seinem Schwanz. Einige nutzten die Dunkelheit, um einander etwas halbherzig zu vögeln. Er hörte sie stöhnen. Einer hielt den Arsch hin, der andere verspritzte seinen Saft. Ein paar Mal steckte er ihn dem einen oder anderen Schwulen rein, aber er fand keinen Gefallen daran. Ihm gefielen Frauen. In der Schule war er mit zwei jungen Mädchen zusammen gewesen. Beide ließen ihn aus demselben Grund im Stich: »Du stinkst nach Schweiß, weil du dich nie wäschst. Du bist ein echtes Schwein!« Er konnte die beiden nicht vergessen; die festen Brüste, die behaarte Muschi, die Schenkel, das hübsche Gesicht, das lange Haar, die sanfte Stimme, die Küsse … Er musste unbedingt hier raus. Nur die Ruhe bewahren. Bis jetzt war alles ganz gut verlaufen. Er sprach mit niemandem. Er dachte an seine schweigsame Großmutter und sagte sich: »Das Beste ist, mit niemandem zu sprechen. Dann lassen sie mich in Ruhe.«
Der Einzige, dem er sich anschloss, war der Typ mit den Tätowierungen. Er führte sie mit einer Stecknadel aus. Aus Seife und Ruß von einem Kerosinbrenner stellte er Tinte her. Tagelang fertigte er eine Zeichnung an, heimlich, damit die Wärter nichts mitbekamen. Punkt für Punkt, mit unendlich viel Geduld. Rey sah genau zu, wie alles vor sich ging. Der Typ kassierte zwei, drei Päckchen Zigaretten, ein Hemd oder einen Kugelschreiber. Alles Mögliche, irgendetwas. Es war kein schlechtes Geschäft. Er lieh sich einen Kugelschreiber und zeichnete sich eine fliegende Taube auf die Innenseite des Unterarms über dem Handgelenk. Dort würden es die Wärter nicht sehen und keine Fragen stellen. Er bat den Typen, ihm die Stecknadel zu leihen, aber der wollte nicht. Er packte ihn bei den Ohren und warf ihn zu Boden. Der Typ gab ihm die Nadel, ohne den Mund aufzumachen. Dann nahm er sich den Brenner und die Seife und begann sich seine Taube zu tätowieren. Die Stiche taten weh, aber das gefiel ihm. Sie gelang ihm gut, schwarz und klar. Wären da nicht die Wärter gewesen, hätte er sich den ganzen Körper bemalt, aber er wollte keine weiteren Scherereien mit dem Betreuungsbeamten.
Am darauf folgenden Tag erklärte ihm ein Mulatte, er wolle genau so eine Taube auftätowiert haben.
»Was gibst du mir dafür?«
»Ein Päckchen Zigaretten.«
»Nein. Eine Taube ist eine Mordsarbeit.«
»Ein Päckchen gleich und ein weiteres in vierzehn Tagen.«
»Einverstanden.«
Einen Monat später hatte er drei Tätowierungen angefertigt, darunter eine Virgen de la Caridad del Cobre, und war Herr des Geschäfts. Alles wurde für ihn ein wenig leichter. Man respektierte ihn. Niemand trat ihm mehr zu nahe, um Schwachsinn zu reden. Feste Gewohnheiten sind das Beste, um die Zeit totzuschlagen. Er entwickelte eine Vorliebe für Marihuana. Manchmal rauchte er in den Orangenhainen schnell einen kleinen Joint, wenn die Aufseher weit genug entfernt waren. Ihm gefiel diese Lethargie. Den Schulunterricht am Morgen hasste er eigentlich. Und noch mehr hasste er die Arbeit am Nachmittag und das ständige Baden und das Essen und Zubettgehen jeden Tag um dieselbe Zeit. Wie ein dämliches Tier. Einmal ließ er im Speisesaal beim Essen einen Furz fahren und stand schon wieder mit einem Fuß im Kerker. Sogar das war hier verboten! Verdammt, das war doch kein Leben!
Eine Zeit lang dachte er, er könne über die Orangenhaine ausbrechen. Ohne zu jemandem ein Wort zu sagen, kundschaftete er das Terrain aus. Monatelang trug er sich mit diesem Gedanken. Bis er dann von ihm abließ. Dort, wo er es am wenigsten erwartet hatte, kontrollierte ein Wachtposten ein gutes Stück Terrain. Dann noch die Hunde. Nein, er musste die Idee aufgeben.
Nachdem er von seinen Fluchtplänen Abstand genommen hatte, interessierte er sich für Perlen im Penis. Auf der Krankenstation lag immer einer mit infizierter Wunde. Die hatten wirklich Pech: Man behandelte die Infektion und operierte sie obendrein und holte die Perlen wieder heraus. Bei vielen anderen hingegen heilte es gut ab, und niemand merkte etwas. Manche ließen sich bis zu drei Perlen einsetzen. Eigentlich waren es keine richtigen Perlen, sondern Stahlkügelchen aus Kugellagern von Fahrrädern. Zwei Typen hatten sich darauf spezialisiert. Eines Sonntagnachmittags sah er, wie sie es machten: Sie packten den Schwanz des »Patienten«, desinfizierten ihn mit Alkohol und nahmen oben an der Vorhaut einen kleinen Schnitt vor. In diesen Schnitt versenkten sie ein,
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