Der Koenig von Rom
junge Banden-Unternehmen bei angesehenen Gangstern wie Raffaele Cutolo, der seit 1963 wegen Mordes im Gefängnis sitzt und von dort die von ihm gegründete Nuova Camorra leitet, und dem Lokalmatador Nicolino Selis (im Roman il Sardo). Einen anderen Lokalfürsten, Franco Nicolini (im Roman Terribile), bringen sie bald um. Dazu De Cataldo:
Im Laufe weniger Jahre, zwischen 1977 und 1983, macht die Bande reinen Tisch mit ihren Rivalen. Die zornigen jungen Löwen zwingen die regierenden Paten zu Pakten. Wer sich widersetzt, wird aus dem Weg geräumt. Das Territorium wird in Zonen eingeteilt. Die Gewinne aus den schmutzigen Geschäften werden gleichmäßig aufgeteilt – nach dem Prinzip einer für alle, und für die „Opfer der Justiz“ werden Rücklagen gebildet. Keine kriminelle Aktion entgeht der Kontrolle der Bande. Das „core business“ ist der Drogenhandel. Die Straßen von Rom sind von Heroin überflutet. Der Schuss nimmt den Platz des Joints ein. Eine Redensart gibt das Lebensgefühl jener Zeit treffend wieder: „In Magliana setzen sich selbst die Vögel einen Schuss“ – was nichts anderes heißt, als dass die Droge von einem Spielzeug gelangweilter Reicher zur sozialen Geisel geworden ist. Die Bande hat die Art des Verbrechens von Grund auf verändert: Das Gangstertum hat dem organisierten Verbrechen Platz gemacht. Dynamik, Aggressivität, Modernität kennzeichnen die Wachstumszyklen nicht nur des gesellschaftlichen Fortschritts, sondern auch der dunklen Seite unserer Zeit. Während die repressiven Staatsapparate konvulsiv mit dem Kampf gegen den Terrorismus beschäftigt sind, wird die Bande aufgrund der eisernen Kontrolle des Territoriums und ihres weitreichenden Feuerradius von zunehmendem Interesse für andere. Es werden Geschäftsbeziehungen zu Mafia, Camorra, chinesischen und südamerikanischen Drogenhändlern aufgebaut. Neofaschistische Terroristen oder Terroristenaspiranten nehmen Kontakt mit Bossen oder Unterbossen der Bande auf. Zutritt zu dieser Gemeinschaft zu bekommen, ist eine Ehre.
Die Bande macht gemeinsame Sache mit geheimen Bruderschaften und „fehlgeleiteten“ Abteilungen der Geheimdienste. Es folgen Leistungen und Gegenleistungen, Gefälligkeiten und die später wieder rückgängig gemachte Bitte, das Verlies Aldo Moros zu suchen, und andere Dinge, die noch nicht gänzlich aufgeklärt wurden und wohl auch nie aufgeklärt werden.
Der 1916 geborene Aldo Moro war mehrfach Ministerpräsident gewesen und einer der angesehensten Politiker der Democrazia Cristiana (DC), deren Präsident er war. Moro wurde 1978 auf dem Weg zum Parlament von den Roten Brigaden entführt. Dort sollte an diesem Tag die Minderheitsregierung des DC-Politikers Giulio Andreotti durch ein Vertrauensvotum fast aller Parteien unterstützt werden. Auch die Kommunisten (PCI), damals zweitstärkste Partei, wollten Andreotti im Sinne des von Moro favorisierten „Historischen Kompromisses“ unterstützen. Die PCI hatte sich unter Führung Enrico Berlinguers zuvor von Moskau losgesagt. Die genauen Umstände und Hintergründe der Entführung und Ermordung Moros, der nach 55 Tagen erschossen im Kofferraum eines Autos im Zentrum von Rom aufgefunden wurde, sind nicht restlos geklärt.
Der Historische Kompromiss der beiden ursprünglich im Antifaschismus der Nachkriegszeit verwurzelten Parteien bedrohte die „Logik der Konferenz von Jalta“. So sah es der Journalist Carmine Pecorelli, der wegen der intensiven Recherchen zur Ermordung Moros 1979 selbst umgebracht wurde. (Dafür wurden 2002 Ex-Ministerpräsident Andreotti und der Mafiaboss Gaetano Badalamenti in erster Instanz verurteilt, in zweiter allerdings freigesprochen.) In Jalta hatten USA und UdSSR ihre jeweiligen Hegemonialsphären gegeneinander abgegrenzt. Der Wechsel Italiens, das als Frontstaat galt wie sonst nur die BRD, zu einer neutralen oder weniger antikommunistischen Regierung hätte aus der Sicht der Hardliner innerhalb der CIA und aller möglichen postfaschistischen Gruppierungen in Italien dieses Gleichgewicht der Kräfte gestört. Die Ermordung Moros durch die Roten Brigaden, die mit der Entführung vorgeblich nur ein paar ihrer politischen Gefangenen freibekommen wollten, wurde durch die Weigerung der Andreotti-Regierung, mit den Entführern zu verhandeln, provoziert, lag aber im Interesse aller, denen an der Aufrechterhaltung des Status quo gelegen war. Dazu gehörten neben den USA auch die UdSSR, beide nahmen über ihre Geheimdienste auf die
Weitere Kostenlose Bücher