Der Koenig von Rom
unmittelbar Beteiligten, die Roten Brigaden auf der einen und verschiedene neofaschistische Kräfte auf der anderen Seite, Einfluss.
Zum Terror der Roten Brigaden gesellten sich ebenfalls in den 1970er-Jahren eine Reihe von Anschlägen neofaschistischer Gruppierungen wie des Ordine Nuovo und der Nuclei Armati Rivoluzionari (NAR). Hinter diesen standen die geheime Freimaurerloge Propaganda Due (P2) und die von der CIA geführte paramilitärische Guerilla-Organisation Gladio, deren Existenz (praktisch in allen westlichen Frontstaaten des Kalten Krieges) erst in den 1990er-Jahren aufgedeckt wurde
Als Repräsentanten für diesen mehr oder minder undurchschaubaren, dennoch vorhandenen Komplex schattenstaatlicher Aktivitäten hat Giancarlo De Cataldo die Figur des Vecchio, des Alten, erfunden. Er charakterisiert ihn als unscheinbaren Mann im Hintergrund, der (ähnlich wie der Dekaden überstehende FBI-Chef J. E. Hoover) auf einem Berg von Akten sitzt, mit dem er jeden erpressen kann. Vecchio ist ein Mann ohne Ideologie, ein Anarchist, der die Geschehnisse ihren Lauf nehmen lässt. Dieser geheime „Brückenkopf des eingefleischten Antikommunismus“ nutzt Linke wie Rechte, Homos und Heteros und eben auch die aufstiegssüchtigen Jungs von der Maglianabande. Und zeigt diesen Königen der Straße, wenn nötig, die wahre Macht. De Cataldo hat ihn aus einem Gedankenspiel geschaffen.
In den achtziger Jahren dachte der ehemalige Staatspräsident Sandro Pertini, der linke wie der rechte Terrorismus werde von einem geheimen Zentrum gesteuert, von den Sowjets, den Amerikanern oder beiden. Er nannte es symbolisch „Il Vecchio“, und ich habe es personifiziert.
Zur Strategie der Spannung gehörte auch der Bombenanschlag auf den Bahnhof in Bologna, der 1980 85 Tote und 200 Verletzte forderte.
Auch wenn die Zielsetzung der Maglianabande primär Bereicherung durch Verbrechen war, hatten die Mitglieder diverse Kontakte zum neofaschistischen Spektrum. Franco Giuseppucci (Libanese) schwärmte für den Duce und bewahrte eine Büste von ihm auf; Enrico De Pedis (Dandi) und Maurizio Abbatino (Freddo) hatten Freunde bei den NAR. Inwieweit sie tatsächlich am Anschlag von Bologna, an der Ermordung Mino Pecorellis oder bei der Suche nach dem Versteck Moros beteiligt waren, ist juristisch nicht aufgeklärt. Der Politthriller stellt diese Zusammenhänge her, aber näher als durch das „Wissen ohne zu beweisen“ der Fiktion wird man nur selten der Wahrheit kommen. Der Thriller schafft seine eigene Wahrheit, und die lautet, dass die politischen und die „normalen“ Verbrecher sehr gut miteinander kooperierten. Doch Letztere waren auf den schnellen Gewinn aus, die Macht, die sie ergreifen wollten, bestand in der Beherrschung des Drogenmarktes, nicht in der Macht über den Staat. Giancarlo De Cataldo:
Und dann, gerade als die Bande an die Spitze des kriminellen Italiens vorgestoßen ist, beginnt auch schon der abrupte, aber unaufhaltsame Fall. Es gibt ein Gesetz, das die Unterwelt regiert und das keine Ausnahme kennt. Kein Verbrecher, der nicht ein großer Verbrecher, ein Boss sein will. Und kein Boss, der nicht davon träumt, ein normaler, „sauberer Mensch“ zu werden, in seinem eigenen Bett, im Kreise seiner Familie, seiner Kinder und Kindeskinder zu sterben, ohne Angst vor dem Gefängnis oder vor der tödlichen Kugel, die seiner unglückseligen Existenz ein Ende setzt. Es ist logisch: Um ein großer Verbrecher zu werden, musst du die Nummer eins der Straße werden, doch um „normal“ zu werden, musst du der Straße wieder den Rücken kehren – und genau in diesem Moment kehrt dir die Straße den Rücken. Es wird jemand kommen, der noch unnachgiebiger, noch grausamer, gewalttätiger und hungriger sein wird als du. Und der wird deinen Platz einnehmen – auf die einzig mögliche Art und Weise: indem er dich wegfegt. So hat es mit der Maglianabande geendet.
Schmutzige Hände
Romanzo Criminale
umfasst die Jahre 1977 bis 1992, der nachfolgende Politthriller
Schmutzige Hände
von 2007 den Zeitraum von 1992 bis 1994. Damit umspannt De Cataldo die zwei Jahrzehnte, in denen das politische System der Nachkriegszeit zusammenbrach, bzw. die Erste Republik. Am Ende von
Schmutzige Hände
stehen die Wahlrechtsreform von 1994, der Untergang der drei zuvor tragenden Parteien DC, PCI und PSI (Sozialistische Partei) sowie der Aufstieg neuer populistischer Gruppierungen und Silvio Berlusconis.
In
Schmutzige Hände
wechselt der Autor die Perspektive.
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