Der Koenig von Rom
sich beschwert: „Während ich im Gefängnis saß, haben Sie sich damit vergnügt, einen Roman über eine Bande zu schreiben, die es nie gegeben hat. Denn unsere Aktionen waren Einzelaktionen und rein ‚individueller‘ Natur.“
Ein starkes Stück. Denn genau dieser Eindruck – dass es sich bei den Drogenverbrechen, Morden, Erpressungen, Grundstücksschwindeleien, Raubüberfällen der 1970er- und 1980er-Jahre um Taten Einzelner handelte – war der Schutzschild gewesen, hinter dem sich die Maglianabande hatte verbergen können. Nur wenige, im Apparat isolierte Polizisten hatten hinter den verschiedenen Verbrechen das Muster und die organisierenden Hirne erkannt. Diesen Beamten hat De Cataldo später in der Figur des Dr. Nicola Scialoja ein Denkmal gesetzt.
Doch bevor er
Romanzo Criminale
schreiben konnte, den Roman, der die Geschichte der Maglianabande und damit Roms und Italiens zwischen 1977 und 1992 erzählt, musste sich der Autor den Stoff erst einmal erschließen. Das war alles andere als ein Vergnügen. Er arbeitete damals als Richter am römischen Schwurgericht. Seine Chance kam, als ihn sein Chef ansprach.
„Mein lieber De Cataldo, das Verfahren gegen die Maglianabande muss eröffnet werden. Glauben Sie, Sie schaffen das?“
„Es war der 20. September 1995. Ich war 39. Ich willigte sofort ein. Vierzehn Tage später begann in der historischen Fechtschule von Luigi Moretti der Prozess gegen die mächtigste und berüchtigtste kriminelle Organisation Roms.“
De Cataldo erinnert sich, dass sich seine Kollegen nicht darum rissen, dieses Verfahren zu übernehmen. Bandenkriminalität galt nicht als prestigeträchtig und somit nicht der Karriere förderlich. Zudem gab es Befürchtungen um die persönliche Sicherheit. Auch De Cataldo musste erst seine Frau, selbst eine erfolgreiche Anwältin, davon überzeugen, dass ihm und der Familie keine Gefahr drohte. Immerhin lagen die Attentate auf die Antimafia-Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino erst drei Jahre zurück. Schließlich dauerte der Prozess kürzer als befürchtet und endete mit rund 500 Jahren Gefängnis für die 69 Angeklagten, 17 wurden freigesprochen.
Auf dem Weg zum Romanzo
„Ich entschied mich als Autor dafür, diesen Prozess zu übernehmen, nicht als Richter“, betont Giancarlo De Cataldo. Denn hier hatte er den Stoff gefunden, nach dem er immer schon gesucht hatte. Er ist als Sohn eines Lehrerpaars 1956 in Taranto geboren, einer uralten Hafenstadt in Apulien. Da es dort keine Universität gibt, musste er nach dem Abitur 1974 nach Rom ziehen.
„Jeder Sohn aus dem Süden muss einen akademischen Abschluss machen. Ich wollte Filmregisseur werden, aber damals herrschte an der Filmakademie Aufnahmestopp. Also studierte ich Jura, wie alle, denen nichts Besseres einfällt“, erinnert er sich. Mitte der 1970er-Jahre gab es nur den staatlichen Rundfunk in Italien. Der gescheiterte Filmregisseur beteiligte sich mit Leidenschaft an den ersten privaten Rundfunksendern und hatte bald seine tägliche Talksendung über kulturelle Themen. Während De Cataldo jeden Nachmittag über Kino, Bücher und Musik sprach, lieferten sich vor der Tür Linke und Rechte Straßenschlachten. Nicht nur die Roten Brigaden übten den bewaffneten Kampf, auch die Neofaschisten. Uniformiert waren beide: Die einen mit Jeans, Parka und langen Haaren, die anderen trugen Lederjacken, Stiefel und Glatze. Rom, die „offene Stadt“ der Nachkriegszeit, war aufgeteilt in linke und rechte Bezirke. Wehe dem, der im falschen unterwegs war. Es war die Zeit, in der Kinder aus bürgerlichem Elternhaus links waren und im „Lumpenproletariat“ die revolutionäre Kraft sahen. Die Beziehung zwischen Giada und Libanese in diesem Roman ruft die Sehnsüchte jener Tage in Erinnerung. De Cataldo dazu: „Damals wollten Verbrecher wie Libanese normale Bürger werden. Und die normalen Bürger liebäugelten damit, Verbrecher zu sein oder zumindest wie sie zu handeln.“
Nach Studium und Militärdienst bewarb er sich 1981 für das begehrte Richteramt. Eine harte Prüfung: Von dreitausend Bewerbern wurden hundert genommen. De Cataldo bestand und entschied sich für einen Job, der unbeliebt war, der Arbeitsplatz jedoch in Rom und Umgebung lag, wo seine Frau arbeitete und wo die Kultur war. Fünf Jahre war er Richter am Tribunale di Sorveglianza („Überwachungsgericht“) von Latium. Diese Gerichte, zu denen es im deutschen Justizwesen keine genaue Parallele gibt, entscheiden in allen Fragen
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