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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Ausbeuter und Menschenschinder, der das Land ruinierte. Hörte Alexander ein Lachen, dann war es für ihn aufgesetzt, weil nicht in seine Vorstellung passte, es könnte freiwillig sein.
    Fortan war er noch nicht einmal mehr ein einsamer Wolf. Auch ein Wolf, egal wie einsam, hat Gefühle und Empfindungen, Alexander jedoch ließ nichts dergleichen aufkommen und war sogar stolz darauf. Er wurde zu einem Vagabunden und Herumtreiber, zu einem Abenteurer, der das Leben herausforderte, der hier und dort etwas sagte, meist aber schwieg und die Ohren offen hielt. Alexander spielte mit sich und mit dem Leben und tat genau das, wovor Antropowitsch ihn gewarnt hatte. In ihm war die Kälte Sibiriens, die alles erstarren und spröde werden ließ. Alexander war ein Heimatloser auf der Durchreise, ein Ruheloser ohne rechtes Ziel. Er wurde zum Gelegenheitsarbeiter, Schieber und Dieb, und er machte mit bei seltsamen Spielen, die mithelfen sollten, der Monotonie der Zeit ein Schnippchen zu schlagen. Er beteiligte sich am alljährlich im Herbst stattfindenden Rennen, wer als erster den gerade zugefrorenen Baikalsee südlich von Irkutsk überquerte. Zu Fuß, mit einem Motorschlitten oder wie auch immer.
    Alexander, die Erfahrung des Jenisseis nutzend, gewann und steckte die Prämie von zweitausend Rubel ein. Im Frühjahr das umgekehrte Spiel: Wer war der Letzte, der den See überquerte? Fast hätte es Alexander wieder geschafft, aber es heftete sich einer an seine Fersen. Und von den dreien, die es wenige Stunden danach versuchten, gab es später keine Spur. Nie würde man eine finden, wie von all den Dingen, die schon auf dem Grund des Baikal lagen: Lkw, Autos, Boote. Sogar ganze Züge mit Menschen und Material, weil man vor vielen Jahren zu Beginn des Winters einfach Schienen quer über den See verlegt hatte, um die Wegstrecke zwischen Ost und West abzukürzen.
    Alexander, der auftauchte und verschwand, der Unberechenbarkeit zu seiner Maxime erkoren hatte, bewegte sich schnell auf der abschüssigen Straße des Lebens. Er brach Waggons auf
    und stahl Autoreifen, ein begehrtes Produkt auf dem Schwarzmarkt. Gemeinsam mit anderen koppelte er von einem fahrenden Zug einen ganzen Kesselwagen mit Benzin ab, das sie in Tanks umfüllten und verkauften. Diese Aktion war genauso lohnend. Und Alexander verkürzte sich die Wartezeit auf ein Auto, indem er es einfach mit den Originalpapieren stahl, die man der Einfachheit halber gleich im Handschuhkasten deponiert hatte.
    Ohne es zu merken, war Alexander auf kriminelle Bahnen und in eine sonderbare Gesellschaft geraten, die er sonst immer gemieden und verachtet hatte. Aber er verdiente viel Geld, und er genoss den Nervenkitzel, ein besonderes, sehr wirkungsvolles Heilmittel, um sich abzulenken.
    Überdies schädigte er auch noch den Staat. Was also wollte er mehr? Dass er nur noch auf der Flucht vor sich selbst war, merkte er nicht.
    Alexander lernte viele absonderliche Menschen kennen, so auch Tom, einen schlaksigen Amerikaner mit feuerroten Haaren, ein wahrlich verrückter Exot.
    Er sei nicht ganz, richtig im Kopf, gab Tom zu. Der Vietcong habe ihm eine Kugel in den Schädel verpasst. Als Verwundeter sei er nach Nowosibirsk in eine Spezialklinik gebracht worden, wo man seinen Kopf aufgemacht habe. »Dabei muss etwas herausgeflogen sein«, scherzte Tom, als er die Narbe zeigte. »Schon im alten Ägypten hat man Menschen ins Gehirn geschaut.«
    Irgendwann, so sprach er weiter, habe er es im Krankenhaus nicht mehr ausgehalten. Geflohen sei er, einfach weg von den vielen Kitteln und dem seltsamen Geruch und den Spritzen. Aber man habe ihn wieder eingefangen und in ein Umerziehungslager gesteckt, dort warteten schon viele Landsleute. Und er habe beim Bau eines Staudammes mithelfen müssen. Atschinsk oder so ähnlich sei der Name der Stadt, von wo er dann endgültig verschwunden sei.
    Alexander dachte zuerst, Tom wolle ihn verschaukeln, als er vom Krieg in Vietnam und seiner Gefangenschaft erzählte.
    »Mann, kannst mir schon glauben, he. Ich posaune keine Stories.«
    »Und was ist das mit den Lagern, in denen Amerikaner gewesen sein sollen?«
    Tom grinste. »Nicht nur Amerikaner, auch andere Nationen. Engländer, Deutsche, viele aus Ostdeutschland, Chinesen, zwei Franzosen. Alles Spione oder was auch immer. Aber wir Yankees stellten die Mehrheit. Und unter unseren Männern waren sogar noch einige alte Veteranen, die ihr Russen vom Himmel geholt habt. U2-Piloten, Anfang und Mitte der Sechziger war das.

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