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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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nachgezählt, es stimmt. Folglich sind die Paketchen inzwischen eine halbe Stunde unterwegs. Gleich müssten die ersten antrudeln.«
    Sie starrten auf den kleinen Fluss. Gerade mal dreißig Meter war er um diese regenarme, frühherbstliche Jahreszeit breit, und er wurde von den Grenzposten kaum kontrolliert, weil er aus Afghanistan kam. In der umgekehrten Richtung waren sie genauer, keiner sollte das gelobte Land Sowjetunion verlassen. Aber Tom wusste Wege, wie das trotzdem zu bewerkstelligen war. Habib, sein Geldkurier, komme problemlos durch, und dazu brauche er noch nicht einmal einen Russen zu bestechen. Es gebe nur wenige, die sich im afghanisch-sowjetischen Gebirge zwischen Herat und Faizabad auskannten, und so einer sei Habib.
    »Warum bringt ihr das Zeug nicht durch die Berge rüber?«
    Tom grinste. Alexander vermutete es mehr, als dass er es sah. »Alte Regel: Nie Geld und Ware über die gleiche Route. Klar, du könntest mehr rüberschaffen, besonders weiter östlich über Andkhoy-Gaurdake, aber so ist es sicherer. Fliegt Habib auf, weiß niemand, wie ich das Zeug erhalte. Fliegt die Flussroute auf, kennt keiner den Geldweg.«
    Tom wurde unruhiger, nach wenigen Minuten stieß er Alexander an. »Der erste Ballon.«
    Da sie auf der Höhe des Wasserspiegels lagen, war dieser gegen den Hintergrund gut auszumachen. Tom glitt in den hüfttiefen Kuschk, der an dieser Stelle langsam floss weil sich das Flussbett erweiterte, und stapfte auf den Ballon zu. Er schnappte ihn sich, drückte ihn unter Wasser und stieß mit dem Messer hinein. Dann duckte sich der Amerikaner, nur sein Kopf lugte noch heraus. Und das Wasser war verdammt kalt.
    Wenig später der nächste Ballon, anschließend der dritte und der vierte. Der letzte kam mit etwas Verspätung. Vor Kälte schnatternd stapfte Tom ans L Per zurück, zog die nasse Hose aus und warf sich eine Decke über die Schulter. Zuerst nahm er einen Schluck aus der Pulle, dann genehmigte er sich einen Joint. Sogleich fühlte er sich besser.
    »Mann, was für ein aufregendes Leben. Findest du nicht auch?«
    Alexander nickte. Zu aufregend, weil zu wenig geplant und mit zuviel Risiko. Und das größte Risiko war Tom mit seinem Rauschgiftkonsum. War er »loaded«, wie der Rotschopf den Zustand höchster Verzückung bezeichnete, dann erzählte er aus Vietnam. Der Vietcong habe sich seltsame Spielchen mit den gefangenen amerikanischen Soldaten ausgedacht. Quer über einen Fluss habe man sie in fünf Meter Höhe gezogen und an einer bestimmten Stelle ausgeklinkt. Dann seien die zappelnden Körper runtergesaust, mitten hinein in im Wasser verborgene Bambusstäbe. Und die anderen hätten zuschauen müssen.
    »Die Schlitzaugen dachten noch, das alles sei ein faires Spiel. Sie haben den Fluss in Segmente unterteilt: sieben mit Bambusspitzen und drei ohne Das Opfer durfte eine Karte ziehen. Einige hatten wirklich Glück und fielen in sauberes Wasser. Andere wiederum, die eine günstige Karte gezogen hatten, wurden aufgespießt. Weißt du, was der Vietcong dann gesagt hat? Der Gl sei ein Falschspieler. Witzig, nicht?«
    Einmal war Alexander kurz davor, sich zu übergeben, als Tom ihm ohne äußerliche Regung eine andere Begebenheit berichtete. Einen Soldaten habe man mit Schmerzmitteln vollgepumpt und ihm anschließend durch einen Trichter kleine lebende Schlangen in den Magen geführt. »Nicht viel länger als dreißig Zentimeter und vielleicht doppelt so dick wie ein Schnürsenkel. Insgesamt fünf Stück. Mann, die Biester müssen unheimlich gewütet haben. Als die Betäubung nachließ, hat der arme Kerl geschrieen, dass wir uns die Ohren zuhalten wollten. Aber darauf stand ebenfalls die Schlangennummer, genauso, wenn einer sich abgewandt hat. Und weißt du, was das Makabere war?«
    Tom zog an seinem Joint und sprach einfach weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. »Der Vietcong hat unserem Kumpel, der in einem tiefen Erdloch saß, ein Messer runter geworfen. Einzige Möglichkeit, die Schmerzen zu beenden, war Harakiri. Die armen Kerle haben sich den Bauch zerfetzt, dass die Gedärme nur so hervorquollen. Irgendwann sind sie dann endlich krepiert.«
    Hatte sich bei Tom der Nebel im Gehirn gelichtet, wollte er immer wissen, was er von sich gegeben habe. »Wieder Vietnam? Richtig liebe Kerlchen, die Vietcong. Hi, hi, hi.« Tom lachte irr, lief umher und rieb sich unentwegt die Hände an der Hose ab. »Scheißkrieg. Hi, hi, hi.« Er hämmerte mit den bloßen Fäusten gegen die Wand. »Und ich

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