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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Sicherheitseinrichtungen. Damit könne er nicht viel anfangen, meinte Viktor Antropowitsch, die Zeichnungen seien in einem zu kleinen Maßstab. Aber bei den unterirdischen Hafenanlagen auf Nowaja Semlja, da sei doch schon vieles zu erkennen. Er breitete die Skizzen aus, und Alexander fand sich damit erst zurecht, nachdem ihm der Ingenieur einige wesentlichen Details erklärt hatte. Auf einem anderen Blatt waren irgendwo in Sibirien der Zugang und die Lagerstätten von Waffen abgebildet, ebenfalls unterirdisch. Zweihundert Meter Fels seien darüber. Alexander zuckte unmerklich zusammen und erinnerte sich an den Ausflug mit Leonid im vergangenen Jahr, der mitten in der Taiga von einem Trupp Soldaten gestoppt worden war.
    In einem separaten Umschlag, den Antropowitsch vor sich hinlegte, steckten die Befehle an den Kommandanten eines Atom-U-Bootes, falls die Sowjetunion angegriffen würde. Und in einem zweiten die genaue Angabe, wohin er zu fahren habe, wenn man selbst angreifen wolle. Südlich von Irland war in diesem Fall das Ziel, von dort könnte man jede westeuropäische Großstadt mit den atombestückten Raketen erreichen.
    Das könnte es gewesen sein, was sich Klimkow auf Nowaja Semlja aus dem U-Boot angeeignet hat, überlegte Alexander.
    »Das hier scheint das Wichtigste zu sein«, meinte Antropowitsch und deutete auf das letzte, mehrmals zusammengefaltete Blatt. »Ich habe es mir schon des Öfteren angeschaut, aber immer noch nicht herausgefunden, wo es sein könnte. Der Küstenformation nach liegt es möglicherweise weit im Osten, nördlich der Insel Sachalin im Ochotskischen Meer. Es muss sich um ein äußerst wichtiges und gigantisches Projekt handeln. Ich nehme an, es geht um einen unterseeischen Hafen für Atom-U-Boote, den man aus der Luft und aus dem Weltraum nicht orten kann. Die Lage zu Amerika ist strategisch günstig, und im Winter ist das Meer monatelang zugefroren, was die Überwachung erschwert.«
    Nachdem sich Alexander alles betrachtet hatte, fragte er Antropowitsch, ob er die Pläne einfach mitnehmen könne.
    »Natürlich. Falls sie dich jedoch erwischen, dann sind die schönen Unterlagen ein für allemal weg.«
    »Wo hast du deine versteckt?«
    »Sozusagen im Reich der Toten.«
    »Reich der Toten ...«
    Antropowitsch grinste. »Im Grab meiner Mutter in einer kleinen Ortschaft nahe Omsk. Einen halben Meter tief in einem wasserdichten Behälter.«
    »Könnte ich meine auch dort deponieren?«
    »Um sie zu gegebener Zeit wieder auszugraben?«
    »Ja.«
    Antropowitsch überlegte. »Einverstanden. Aber jedes Jahr zum 19. Juni, dem Sterbetag meiner Mutter, musst du einen frischen Blumenstrauß opfern. Bleibt der zwei Jahre aus, dann bist du für mich tot.«
    »Für den Fall vermache ich dir alles. Und woran erkenne ich, dass du noch lebst?«
    »An meinem Blumenstrauß.«
    Alexander wollte anschließend von dem Älteren wissen, was er an seiner Stelle mit diesen Plänen tun würde.
    »Was soll denn jetzt noch die Frage? Haben wir nicht lange genug darüber diskutiert?«
    »Schon, aber... «
    »Hast du nicht Klimkow versprechen müssen, dich am Staat zu rächen? An dem Staat, der dich auf so unmenschliche Weise behandelt hat?«
    »Ja.«
    »Dann fang doch endlich damit an.«

    Und Alexander fing an. Als wollte er sich aber noch einen letzten Aufschub gönnen, zog er sich auf der Reise in das Herz Sibiriens für einige Minuten in seine Omsker Kinder-and Jugendzeit zurück, dachte an seine Mutter, wanderte weiter in die Gegenwart zum Koffer, den Fotos und den Briefen. Ja, seine Mutter. Noch nicht einmal ihr Grab durfte er aufsuchen, weil er es für zu gefährlich gehalten hatte, danach zu fragen. Die Tusanskaja wusste auch nicht, wo sie beerdigt Tag. Irgendwo in Omsk, vielleicht in der Nähe des Krankenhauses. Für wenige Sekunden überkam Alexander ein Hauch von Wehmut, er war allein und auf sich gestellt. Deshalb brauche ich auf niemanden Rücksicht zu nehmen, folgerte er trotzig. Die Wehmut verflüchtigte sich, auch die erneut aufkeimenden Selbstvorwürfe, er hätte seine Mutter früher besuchen müssen.
    Abgenabelt von allem, von jeglichen Familienbanden, von Gemeinschaft, Staat und der übrigen Welt, rollte er ostwärts. Er, ein Lebewesen aus Fleisch und Blut, ein 80-Kilo-Mann, kam sich vor wie ein Besucher aus einer anderen Welt. Seine Augen entfalteten ein Eigenleben im Beobachten und Einschätzen von Vorgängen, alles fiel ihm auf, alles störte ihn. Und immer war der Staat der Verursacher, der

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