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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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nicht?«
    »Bist etwas blass, und die Haare gehen dir aus.«
    »Etwas blass, das stimmt in der Tat. Knochenkrebs. Die vielen Strahlen in all den Jahren, auch in Tomsk. Wir haben gebaut und gebaut und hatten keine Ahnung, dass sie gleich nebenan Plutonium produzierten. Der Apparat opfert seine Bürger, weil er einem schrecklichen Ziel hinterherläuft. Die Ärzte geben mir nur noch wenige Monate. Leider nicht genug, um noch etwas bewegen zu können.«
    »Ich habe oft an dich gedacht, an unsere erste Begegnung und die seltsamen Umstände. Für mich ist noch ein Punkt unklar.«
    »Und der wäre?«
    »Wenn du damals eine andere Meinung gehabt hättest als ich, Viktor, dann wäre ich von der Miliz empfangen worden. Was hat dich zu allem bewogen?«
    Antropowitsch wirkte nachdenklich.
    »Viktor, du kannst mir erzählen, was du willst, mir schöne Theorien vom Gleichgewicht der Kräfte verkaufen oder sonst was, um deine Handlungsweise zu rechtfertigen. Aber das genügt mir nicht.«
    Antropowitsch zog den Kopf ein. »Wie soll ich das verstehen?« »Deine vorgeschobenen Argumente kaufe ich dir nicht ab. Was war der eigentliche Grund für dein Verhalten?«
    »Sagte ich doch, dieser Größenwahn ...«
    »Nein.«
    Es hatte den Anschein, als verkrallten sich ihre Blicke ineinander, um auch jedes noch so unbedeutende Detail in den Augen des anderen herauszulesen.
    »Du meinst, es gebe da noch einen ... übergeordneten Anlass?« fragte der Ältere mit belegter Stimme.
    Alexander nickte, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »Etwas, das tiefer geht, so wie bei mir. Eine Art ... finale Motivation.«
    »Du hast recht. Damals, Nowaja Semlja und Tomsk, das waren im Prinzip, so wie alles andere, nur Vorwände. Meine Schwester, sie ist der wahre Grund.«
    Nach einigen Augenblicken, in denen sich Antropowitsch sammelte, begann er zu erzählen.
    »Größenwahn und Angst sind Geschwister. Deshalb unternimmt der Apparat alles, um sich zu schützen, nicht die Bevölkerung. Die Folge davon ist: Unser Land ist immer noch übersät mit geheimen Einrichtungen. Sie gehen auf Berija zurück, Stalins Geheimdienstchef. Er ist der Gründer der verbotenen Städte und hat selbst die Standorte ausgewählt - allein mit dem Ziel, die Bombe der Bomben zu bauen. Das war 1942. In unserem riesigen Russland gab und gibt es mehr als fünfzig solcher Einrichtungen, ob das nun Arzamas-16 war, Krasnojarsk-26, Ibmsk-7 oder Tscheljabinsk-40, das man später nach einer folgenschweren Katastrophe in Tscheljabinsk-65 umtaufte. Arzamas-16 liegt übrigens nahe bei Moskau und kann nur über eine spezielle Bahnlinie und per Privatzug erreicht werden. Den entsprechenden Bahnhof in Moskau suchst du jedoch vergeblich. Der Zugang ist ein als Obst-und Gemüselager getarntes Haus.«
    Antropowitsch trank einen Schluck Wodka, obwohl ihm der Arzt Alkohol verboten hatte. »Wenn du jetzt denkst, mit Berijas oder Stalins Tod habe das alles aufgehört, dann siehst du dich getäuscht. Chruschtschow war vom gleichen Wahn beseelt und ordnete die Gründung weiterer geheimer Einrichtungen an, so die der Nuklearstadt Krasnojarsk-26. Alles wurde unterirdisch angelegt, vom Atomreaktor bis zu den Fabriken und Wohnungen. Allein die Tunnelanlage ist zehnmal größer als die Moskauer Metro. Wie allgemein üblich, entsorgte man aus Kostengründen den gefährlichen radioaktiven Abfall auf einfachste Art und Weise: Man bunkerte ihn tief in der Erde.«
    »Woher weißt du das alles?«
    »Von meiner Schwester.«
    Die Stimme des Ingenieurs wurde leiser. »Meine Schwester war Physikerin und arbeitete im Majak-Werk von Kyschtym, auch Tscheljabinsk-40 genannt. Sie kam 1957 durch die Explosion eines Plutoniumtanks ums Leben, mit ihr starben Tausende.«
    Antropowitsch rieb sich die Augen. »In den letzten Jahren hatten wir kaum Kontakt, weil sie der höchsten Sicherheitsstufe angehörte und völlig isoliert von Familie und Außenwelt in der Stadt zubrachte, die wie Tomsk-7 eingezäunt ist und scharf bewacht wird.«
    »Bekam sie keine Schwierigkeiten, als man dich seinerzeit zu Lagerarbeit verurteilte?«
    Antropowitsch lachte hart. »Und ob, Sippenhaft hat bei uns seit der Zarenzeit Tradition. Man stellte sie unter besonderen Arrest und verhörte sie. Mit Stalins Tod löste sich auch ihr Problem, aber meiner Schwester, ich habe sie manchmal im Spaß als linientreue Idiotin bezeichnet, die sich von Ideologie und Vergünstigungen blenden und durch die Forschung ködern ließ, wurden die Augen geöffnet. Sie erkannte

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