Der König von Sibirien (German Edition)
kommen schon das neue Bohrgestänge und der Bohrmeißel.«
Und als keiner der Mithäftlinge etwas sagte, wie sollte er auch, denn niemand wusste, auf was Alexander aus war: »Jungs, wir machen es sofort. Gleich auf der Stelle malen wir das Ding an.«
Obwohl die Strafgefangenen inzwischen ungemein Respekt vor Alexander hatten, war das neue Vorhaben in ihren Augen eine mehr als spinnerte Idee. Wie sollte man jetzt, Ende März, und dann noch bei tiefem Frost, den Bohrturm streichen? Wo doch jeder wusste, dass die Schutzfarbe, wegen des Abbindens, nur bei Temperaturen über Null verarbeitet werden konnte, weil sie kälteempfindlich war.
Alexander ließ sich nicht beirren. Inzwischen hatte Pagodin die Rolle mit den dreihundert Meter Schlauch erhalten, Durchmesser zwei Zoll, wie von Alexander gewünscht. In zwei gleichlange Stücke wurde der Schlauch geteilt, und auf Alexanders Geheiß warf man die Dieselaggregate an. die immer noch für die Stromversorgung notwendig waren. Hätten die von Truz 16 ihre Masten im Boden gehabt, dann hätte es längst Elektrizität gegeben. An diese Generatoren wurden die beiden Schläuche, in die die Abgase des großvolumigen Sechszylinders eingeleitet wurden, angeschlossen. Jeweils zwei Mann nahmen den einen Schlauch und wärmten mit den heißen Abgasen das Metall des Bohrturms vor. Sofort rückten zwei weitere nach und begannen zu streichen, als gelte es einen Rekord aufzustellen. Und gleich hinterher kamen wieder zwei Sträflinge mit dem anderen Schlauch und den warmen Abgasen, mit deren Hilfe sie die Farbe trockneten. Zwar waren jeweils nur sechs Sträflinge im Einsatz, aber Alexander ließ sie alle fünfzehn Minuten auswechseln. Anschließend hatten sie fünfundvierzig Minuten Pause, um sich von der Kälte und von den Abgasen - Schutzmasken gab es nicht, glücklicherweise trieb der Wind das meiste von ihnen weg - zu erholen.
Zwei Wochen benötigten sie, dann erstrahlte der Bohrturm in einem dunklen BraunRot. Dafür gab es von der Lagerleitung zwanzig Flaschen Wodka extra, obwohl Alkohol offiziell streng untersagt war. Wer aber sollte die Einhaltung des Verbots kontrollieren?
Kaum war die Arbeit beendet, als Pagodin Alexander zu sich bestellte.
»Manchmal sind die in Moskau oder sonst wo wie Raubtiere. Je mehr du ihnen zu Fressen gibst, desto hungriger werden sie. Wir haben für Aufsehen gesorgt, und schon kommen sie mit ganz unsinnigen Forderungen Zwischen uns und Trutz 16 soll jetzt ein Gleis verlegt werden, über das später der Nachschub anrollt. Damit unsere Außenstelle als Brückenkopf für andere Erschließungsvorstöße in das Land dient, wie es so schön in der Begründung heißt. Auf der anderen Seite haben sie bereits mit dem Bau begonnen, allerdings ist vor unserem Lager eine Senke mit vier oder fünf Kilometer schwerem Gebiet, im Sommer total versumpft und überschwemmt.«
Alexander setzte sich. »Das ist der Lohn der Arbeit. Bist du gut, musst du nächstes Mal noch besser sein.«
»Soll ich denen in Boresowo absagen, es sei undurchführbar?«
»Welche Gerätschaften stellen sie uns zur Verfügung?«
»Insgesamt vier schwere Kettenfahrzeuge und das Material, das auf Truz 16 so rumliegt.«
»Schienen?«
»Die werden schon geliefert.«
»Also rechnen sie mit unserer Zusage. Schwellen?«
»Genau das ist das Problem. Jetzt, gegen Ende des Winters, können sie kein Holz schlagen.«
Alexander grübelte. »Ich muss mir anschauen, was die auf Truz 16 alles haben.«
Ein Strafgefangener durfte nur zu Arbeitszwecken im Bereich des Lagers eingesetzt werden. Verlegte man ihn, dann bedurfte das der Genehmigung. Zuständig war in diesem Fall die Verwaltung der nächstgelegenen Stadt Boresowo, die zugleich auch Mittelpunkt des Oblasts war, also des hiesigen Bezirks. Aber in Westsibirien sind die Bezirke größer als manches europäische Land, dementsprechend zäh agiert auch die Administration. Deshalb verzichtete Pagodin darauf, sie mit so etwas Banalem wie dem Ausflug eines Gefangenen zu einer benachbarten Bohranlage zu belästigen. Als Alexander die Materialanhäufung in Truz 16 sah, verschlug es ihm die Sprache. Besonders beeindruckte ihn das Lager der Rohre, die über und im Boden das Erdgas bis zur nächsten Station leiten sollten.
»Was ist mit diesen Rohren? Warum haben die hier so viele rumliegen? Und weshalb sind die so verrostet?«
Er wurde darüber aufgeklärt, dass es sich um einen Restposten der deutschen Lieferung von vor zwei Jahren handelte. Man könne
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