Der König von Sibirien (German Edition)
vor?«
»Wir fangen gleich morgen früh an.«
»Bei dem Wetter?« Pagodin schüttelte den Kopf.
»Bei dem Wetter. Zuerst erlaubst du den Strafgefangenen, dass sie ihre Baracken abdichten dürfen, sie sollen es wenigstens in ihrer freien Zeit warm haben.«
»Nie ...«
»Doch. Das ist eine unumstößliche Bedingung. Und dann legen wir gleich los und bauen die Stromleitung zur nächsten Bohrplattform.«
»Bei dem Wetter?« wiederholte Pagodin.
»Wir haben das Material, und es ist, wie es sich nun mal für einen vorbildlichen sozialistischen Staat gehört, gleichmäßig entlang der Trasse verteilt. Pfosten, Kabel, Streben, Isolatoren, alles. Die Ausführung ist also allein eine Frage der Organisation. Verschaff uns warme Winterkleidung, dann wird es schon gehen.«
Pagodin schüttelte den Kopf. »Mehr als tausend Masten müssen in den Boden gesetzt werden.«
»Wir übernehmen fünfhundert, und die von Truz 16 auch, so wie es der Plan vorsieht. Obwohl unsere Mannschaft wesentlich kleiner ist als die der Nachbarstation. Los, wette mit deinem Natschalnik-Kollegen um hundert Flaschen Wodka, dass wir unser Soll zuerst erfüllen. Und ruf bei einer Zeitung an, die eine gute Geschichte daraus machen sollen. Überschrift: Planerfüllung bei minus dreißig Grad. Na, ist das nichts?«
Pagodin blieb skeptisch, aber Alexander überrannte ihn immer wieder in einer Art Begeisterung, die den Lagerleiter mehr als erstaunte. Was war mit diesem Gautulin los? Warum plötzlich dessen Einsatzwille? Was führte er im Schilde?
»Mach Werbung für dich. Wer so gut arbeitet wie du, den darf man nicht in Lagerhaft stecken.«
Als Alexander zwei Tage später wieder mal auf dem Rückweg zur Baracke war, wusste er, er hatte einen Sieg errungen. Und er wusste auch, nur jenes unscheinbare Wort »bitte«, das Pagodin zu ihm gesagt hatte, als er ihn aufforderte, in die Krankenstation zu gehen, war Basis seiner eigenen Bereitschaft. Nun etwas an den Haaren herbeigezogen war seine Rechtfertigung schon, aber das ahnte ja außer ihm und Pagodin niemand.
Alexander eröffnete den Strafgefangenen, was auf sie zukam, und vergaß auch nicht, die Vergünstigungen zu erwähnen. Wenn es Pagodin gut gehe, dann ihnen auch.
Die Männer gaben sich misstrauisch. Sie sahen nicht ein, mehr zu leisten als bisher, immerhin seien sie keine Angestellten des Staates. Alexander versprach kein Mehr an Arbeit. Im Gegenteil, durch bessere Organisation hätten sie es sogar einfacher. Außerdem ginge ihre Zufriedenheit nur über die der Lagerverwaltung, die nach oben glänzen wolle. Aber das könne sie nur, wenn Erfolge anstünden.
Erst als Alexander Klimkow, der sich die Haare hatte schneiden lassen, um nicht mehr als Blatnoij zu gelten, auf seiner Seite hatte, stimmten die Häftlinge zögernd zu.
Gleich am kommenden Tag machten sich zwei Brigaden auf den Weg, die ersten zehn Löcher - ein Vermessungstrupp hatte die einzelnen Stellen bereits im letzten Sommer markiert - für die knapp fünfzehn Meter langen Strommasten auszuheben.
Eine andere Brigade marschierte mit Klimkow die zehn Kilometer ab, die sie zu bewältigen hatten. Sie überprüften das Material, es war vollzählig. Und eine dritte Brigade unter Alexander nähte große Zeltplanen zusammen, die Überreste ihres Notquartiers im Sommer. Keiner wusste, wofür sie gut sein sollten, Alexander schwieg beharrlich auf jede Frage.
»Wie willst du denn die Pfosten aufrichten?« fragte Pagodin, dem es gelungen war, seine Männer von der Plansollerfüllung zu überzeugen. Fünfzig von ihnen bildeten, jedoch abgeschottet von den Inhaftierten, im Wechsel mit den anderen fünfzig eine eigene Arbeitsgruppe und machten mit.
»Warte ab. Wir schaffen das schon.«
»Ohne Maschinen geht das nicht bei dem Schnee. Die Männer rutschen aus und schlagen hin.«
»Es geht.«
»Wir werden nie gegen die anderen gewinnen können. Die haben einen fahrbaren Kran.«
»Wir gewinnen. Hast du deinem Kollegen die Wette angeboten?«
»Er hat auf fünfhundert Flaschen erhöht. Das war mir zuviel.«
»Verdammt, Pagodin, kannst du den Gefangenen nicht ein einziges Mal vertrauen? Schau dir doch an, wie sie sich ins Zeug legen.«
Pagodin sah es. Nachdenklich ging er zurück in sein Büro. Nach Süden schaute er seit diesem Tag nicht mehr, aber er wurde zunehmend unsicher, ohne zu wissen, weshalb. Eine Situation, so günstig sie sich für ihn auch darstellte, nicht richtig einschätzen zu können, bereitete ihm Kopfschmerzen. Seine
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