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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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zwei oder drei Wochen, setzte der Sommer ein. Das neue Gestänge wurde geliefert, und die Bohrungen nach Erdgas begannen. Aber mit dem Sommer kam auch die schlimmste Plage, die Westsibirien zu bieten hat: Mücken. Oftmals waren es so viele, dass es einem vorkam, als filterten die Milliarden von kleinen schwirrenden Körpern das Sonnenlicht.
    Und gegen Mücken sollte es, so Pagodin, kein Mittel gehen. Die Quälgeister hielten sich nicht an Normen und schlüpften in jede nur denkbare Öffnung. Permanent hielten sie die Männer von der Arbeit ab, die alle zwei Sekunden die Biester mit einer Handbewegung zu verscheuchen suchten.
    Eines gab es im Überfluss, und das war Wagenschmiere. Als Abfallprodukt minderer Qualität bei der Erdölförderung mit etwas Öl vermischt, konnte man sie - Alexander machte es vor - als Paste dünn auf die Haut auftragen. Das stank zwar bestialisch, vertrieb aber die Mücken. Fortan sahen die Strafgefangenen und die Wachposten in SIB 12 aus wie Soldaten im Nahkampfeinsatz.
    Noch ein Mittel machte die Runde, Alexander hatte es von seinem Vater überliefert bekommen. Bei jedem Riss in der Haut oder bei einer offenen Verletzung wandte der es früher an. Er urinierte einfach über die Wunde, wodurch sie, so zumindest verdeutlichte es ihm sein Vater, desinfiziert werde, was das Brennen erkläre.
    In Lager SIB 12 hatten die Männer oft Risse in den Händen oder kleine Verletzungen. Sie guckten sich Alexanders Methode ab und kopierten sie unbesehen. Nach dem erfolgreichen Einsatz der Wagenschmiere gegen die Mückenplage trauten sie ihm einfach alles zu.

    Was Alexander in der Folgezeit auch anpackte, es gelang. Im Juli stieß der Bohrturm auf Erdgas, wie eigentlich überall in West Sibirien, und bereits Mitte August wurde das Material für einen größeren Turm geliefert, damit man den kostbaren Rohstoff in der entsprechenden Menge fördern und verwenden konnte. Aber genau an diesem Punkt setzte das Problem ein: Rohre. Zwar gab es noch einen Restbestand auf Truz 16, die aus Deutschland stammten, aber die waren nun mal am die Wandstärke zu dick im Vergleich zu den sowjetischen. Die eigenen, so erklärte es ein Ingenieur, konnten ohne Lieferschwierigkeiten beschafft werden, hatten jedoch einen großen Nachteil. Da das Material zu kohlenstoffhaltig war, platzten die Schweißnähte regelmäßig wieder auf. Bis es bessere gebe, würde es noch mindestens ein halbes Jahr dauern.
    Aber das Erdgas brauchte man für die Industrie, die in rasantem Wachstum begriffen war. Die Ukraine und Weißrussland warteten sehnsüchtig darauf, außerdem wurde der Energieträger dringend benötigt, um ihn an die sozialistischen Brudervölker zu liefern: Ungarn, DDR und Polen. Letztlich galt es, den Erzfeind Amerika zu überholen. Wie also aus dem Dilemma herausfinden?
    Pagodin und alle Experten fluchten insgeheim auf die Planwirtschaft, die, falls das Soll erfüllt wurde, immer noch nicht garantierte, dass auch alles ins Rollen kam. Was man nämlich nicht einplante, aber am besten funktionierte, so ein Zyniker, seien der Ausschuss und die Fehlproduktion.
    Pagodin, der wieder mal mit SIB 12 glänzen wollte - inzwischen, so konnte man glauben, gewöhnte er sich an den Medienrummel -, feuerte Alexander an, eine Lösung zu finden. So, als brauche er nur in die Tasche seiner Jacke zu greifen, um sogleich ein Konzept auf den Tisch zu legen.
    »Jetzt haben wir das schöne Erdgas, könnten liefern und liefern, und woran hapert es? An den blöden Rohren.«
    »Die sind nun mal erforderlich, mein lieber Pagodin.«
    »Man müsste riesige Luftballons füllen und verschicken.«
    »Gar nicht mal so schlecht, Pagodin.«
    »Was macht eigentlich dein Bein?«
    Alexander streckte es aus. »Nur bei Kälte tut es manchmal verdammt weh.« Er stutzte. »Aber wieso weißt du davon?«
    Pagodins Gesicht verzog sich vor Spott. »Ich habe mitbekommen, wie der Träger draufgefallen ist.«
    Alexander schluckte. »Und du ...«
    »Hättest ja in die Krankenstation gehen können.«
    »Wollte ich nicht.«
    »Meinetwegen, was? Kampf bis aufs Messer, keiner gibt nach. Dadurch hast du es mir aber gezeigt!«
    In Alexander glomm die alte Wut auf. Was hatte er nicht schon alles wegen Pagodin durchstehen müssen? Und Rassul? Sie beide damals in der Zelle und er später allein im Isolator. Dann das gebrochene Schienbein. In diesem Augenblick vergaß er, dass er sich zumindest im letzten Fall geweigert hatte, sich medizinisch versorgen zu lassen. Pagodin merkte den

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