Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
Tür geklopft.
„Herr Obersturmbannführer, eine dringende Nachricht für Sie!“, hörte sie jemanden rufen. „Darf ich eintreten?“
Wenn die Tür aufging, war sie gefangen. Sie musste unbedingt eine Waffe finden, um sich noch rechtzeitig selbst zu töten. Aber das Messer steckte im Auge ihres Peinigers, der unerreichbar für sie auf dem Boden lag. Und auch die Pistole war verschwunden. Maria verließen nun ihre letzten Kräfte. Regungslos blieb sie liegen.
„Herr Obersturmbannführer, ich habe eine Nachricht vom Gauleiter für Sie! Ich öffne jetzt von außen die Tür!“
Sie war verloren.
Sie versuchte, sich die Strumpfhose wieder hochzuziehen, doch es war unmöglich. Ihre zitternden Finger schafften es nur noch, den Rock über ihre Scham zu ziehen. Mit beiden Händen drückte sie den Stoff zwischen ihre Beine und begann leise zu weinen.
Ein gewaltiger Krach ertönte, und die Kabinentür sprang auf.
Bevor die Bewusstlosigkeit einsetzte, hörte Maria noch eine vertraute Stimme, die immer wieder ihren Namen sagte, während ein Mann sie sanft in den Arm nahm.
Wie geplant stach kurz nach Mitternacht des 24. Januar 1945 das Transportschiff H. Wessels im Gefolge des Kreuzers Emden von Königsberg aus in See. Entgegen dem Versprechen einer jungen blonden Frau hatte das Schiff keine Flüchtlinge mit an Bord genommen. Auf dem Deck des Transporters stand einsam ein Mann in feldgrauer Wehrmachtsuniform, rauchte und betrachtete lange die in der Dunkelheit verschwindende Silhouette Königsbergs, den Geschützdonner der nahen Front im Ohr.
Im großen Saal der Emden, der extra geräumt worden war, hatte man zwei Särge aufgebahrt, in welchen der ehemalige Reichspräsident, Generalfeldmarschall und Sieger der Schlacht von Tannenberg, Paul von Hindenburg, und seine Gemahlin lagen. Ein Pionierkommando hatte die Leichname aus der ostpreußischen Gruft bei Tannenberg gerade noch rechtzeitig vor dem Eintreffen der Roten Armee evakuiert.
Über Hindenburgs Sarg hatte man eine Reichskriegsflagge gelegt. Rechts und links vor den Särgen standen zwei Wehrmachtsoffiziere mit aufgepflanztem Bajonett Totenwache. Der Saal war vollständig abgedunkelt, so dass lediglich der flackernde Schein von Fackeln für ein wenig Licht sorgte und der Szenerie eine gespenstische Note verlieh.
Irgendwo auf der Route des weißgetünchten Transportschiffs H. Wessels durch die winterliche Ostsee fanden drei SS-Leute mit Gewichten belastet ihre letzte Ruhestätte auf dem Meeresgrund. Nur wenige Tage später, und ohne von russischen U-Booten oder alliierten Jagdflugzeugen behelligt worden zu sein, erreichte das Schiff, unter einem anderen Namen und an verschiedenen gut sichtbaren Stellen mit einem roten Kreuz bemalt, seinen Zielhafen.
Damit war der erste Teil eines Plans verwirklicht, der 1944 in den ostpreußischen Wäldern entworfen worden war und mehr als ein halbes Jahrhundert später die Geschicke Deutschlands bestimmen sollte.
Kapitel 1
Einundsechzig Jahre später, als längst wieder Frieden über Deutschland lag, betrachtete Benjamin Parker voller Bewunderung das Brandenburger Tor.
Es war bereits Mittag, und die winterliche Sonne des Januars erhellte seine dichten dunkelbraunen Haare und das Gesicht mit den markanten Zügen. Das Licht fiel in seine tiefliegenden dunkelgrünen Augen und ließ sie aufblitzen, als er nach oben schaute.
Majestätisch glänzte die bronzene Quadriga vor dem hellblauen, wolkenlosen Himmel. Mit nur einer Hand führte die geflügelte Viktoria die vier Pferde lässig an den Zügeln. Die Dame hatte Klasse, dachte Parker. Jedenfalls ließ sie sich ihre wechselvolle Geschichte nicht anmerken. Die Entführung nach Paris durch den stürmischen Kaiser Napoleon Bonaparte dürfte sie vielleicht noch als Kompliment gewertet haben, ihre fast völlige Zerstörung im Zweiten Weltkrieg war hingegen sicherlich ein eher traumatisches Erlebnis gewesen.
Die hübsche Preußin schien Parkers Blick zu erwidern. Er nahm das als gutes Omen für den ereignisreichen Tag, der vor ihm lag. In wenigen Minuten würde er vor dem Brandenburger Tor ein Fernsehinterview geben, dann hatte er einige Stunden Zeit, bis ihn am frühen Abend ein Treffen mit einem Staatssekretär im Bundeskanzleramt erwartete. Es war seine erste Einladung ins Kanzleramt, und die Zusammenkunft versprach höchst interessant zu werden. Das galt allerdings auch für seine letzte Verabredung am heutigen Tag. Als er die Anfrage hierfür erhalten hatte, hatten in seinem
Weitere Kostenlose Bücher