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Der Königsschlüssel - Roman

Der Königsschlüssel - Roman

Titel: Der Königsschlüssel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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den Besuch von Gefangenen ohne entsprechende Genehmigung.«
    »Gefangenen? Wieso Gefangenen?« Velas Stimme war ganz dünn geworden. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Ihr Vater war doch kein Gefangener.
    »Wusstest du das nicht?« Bestürzt sah Kassia sie an. Ihre Augen waren voll Mitleid. »Es tut mir so leid für dich, so schrecklich leid …«
    »Aber warum? Er hat doch nichts getan!«
    »Na ja, er hat den Königsschlüssel verloren.« Kassia sprach ganz leise, als wolle sie damit die Schärfe aus dem Vorwurf nehmen.
    »Verloren? Das Biest hat ihn Vater entrissen!«

    »Ja, schon, doch das kommt auf dasselbe hinaus. Dein Vater hatte die Verantwortung.«
    »Aber …« Vela wusste einen Moment nichts zu sagen. Wie konnte irgendwer ihren Vater beschuldigen? Wie konnte gerade Kassia das tun? »Aber dieses Ungeheuer war riesig, alle haben es gesehen. Niemand hat es aufgehalten. Nicht einmal die Palastwachen! Dabei sind sie doch für die Sicherheit zuständig!«
    »Ja und nein.« Kassia klang nun beinahe belehrend, nicht mehr mitleidig. »Die Palastwachen sind für die Sicherheit der Menschen verantwortlich. Sie wurden wegen der beiden Männer, die vom Balkon gestürzt sind, eingesperrt. Da die beiden aber überlebt haben, wird ihre Strafe nicht allzu lang ausfallen.«
    »Und Vater? Wie lange muss er im Gefängnis bleiben?«
    Kassia drehte sich zum Fenster und starrte hinaus.
    »Kassia! Sag es mir!« Vela zerrte sie an der Schulter herum. »Wie lange?«
    Das Mädchen mied ihren Blick. Tränen bildeten sich in seinen Augen, und Vela wurde ganz übel. Beißende Angst packte sie.
    Kassia führte sie zum Sofa, mit jedem Schritt zitterte Vela mehr.
    »Es gibt da ein altes Gesetz, das seit über dreihundert Jahren besteht«, begann Kassia ungewohnt langsam. »Es dient dem Schutz des Königs, und damit dem Schutz unseres ganzen Landes. Es ist ein strenges Gesetz, und es besagt, dass jeder, der den Königsschlüssel stiehlt, verkauft, veruntreut oder auch nur verliert, als Landesverräter gilt.«
    »Landesverräter?«
    »Ja. Und jeder Landesverräter kommt für ein Jahr hinter Gitter …«

    »Ein ganzes Jahr?«, brauste Vela zornig auf. »Weil er den Schlüssel nicht festhalten konnte? Wo er dem König jahrelang treu gedient, ihn gewartet und repariert hat? Er hat nichts getan! Er ist doch kein Krieger …«
    »Ein Jahr hinter Gitter, dann wird entschieden, ob er begnadigt oder hingerichtet wird.«
    »Hingerichtet?« Vela hatte nicht mehr die Kraft, laut zu protestieren. »Paps«, flüsterte sie, und Tränen liefen ihr die Wange hinab. Am Mittag war sie noch voller Vorfreude gewesen, monatelang hatte sie sich auf den Besuch in Marinth gefreut, und nun brach auf einmal alles zusammen. »Aber man wird ihn doch begnadigen? Jeder weiß, dass er ein guter Mann ist. Er wird sicher begnadigt, nicht wahr?«
    Kassia biss sich auf die Lippen. Kurz sah sie aus, als würde sie ihre Freundin mit einer Lüge trösten wollen, dann atmete sie tief durch und sagte: »Nur der König darf eine Begnadigung aussprechen.«
    »Der König schätzt meinen Vater. Er wird ihn sicher begnadigen.«
    »Niemand hat den König aufgezogen, Vela. Der König bewegt sich nicht mehr, denn sein Uhrwerk ist abgelaufen. Er sagt keinen Ton. Ohne Schlüssel kann ihn niemand aufziehen.«
    Und wenn er nicht aufgezogen wurde, konnte er ihren Vater nicht begnadigen …
    Vela wurde schlecht. Sie musste den Kopf zwischen die Knie nehmen, damit ihr das Mittagessen nicht nach oben stieg. Kassias streichelnde Hand auf ihrem Rücken nahm sie kaum wahr. Alles, was sie noch hörte, war das Schlagen ihres Herzens, so laut wie eine Trommel.

    Als Vela endlich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, war Kassia nicht mehr im Zimmer. Sie hatte sie einfach allein gelassen mit ihrer Angst. Wahrscheinlich ging sie bereits wieder ihren zahlreichen Verpflichtungen nach. Ihr Vater saß ja nicht im Kerker.
    Was sollte sie jetzt tun? Nach Hause fahren? Ihre Mutter bitten herzukommen? Aber die konnte nicht weg - wer sollte dann auf dem Turm nach Feinden Ausschau halten? Nein, Vela musste in der Stadt jemanden finden, der ihr half. In ihren Erinnerungen forschte sie nach Namen, Freunden ihres Vaters, aber sie konnte sich kaum an Gesichter erinnern. Die meiste Zeit hatte sie während der Besuche mit ihrem Vater verbracht, ab und zu hatte er ihr jemanden vorgestellt, aber sie hatte sich nie die Mühe gemacht, sich die Leute einzuprägen. Nur an den großen Tom erinnerte sie sich.
    Tom

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