Der Königsschlüssel - Roman
würde ihr sicher helfen, schließlich kannte er ihren Vater schon viele Jahre. Gemeinsam würden sie mit dem Kanzler sprechen, auch wenn Kassia behauptete, dass es nichts nützte! Der Kanzler kannte ihren Vater seit Jahren, er würde mit sich reden lassen, davon war Vela überzeugt. Sie musste ihn nur finden.
Entschlossen suchte sie unter dem Bett nach ihren Schuhen, die sie ausgezogen haben musste, obwohl sie sich nicht mehr daran erinnern konnte, und schlüpfte hinein. Dann stapfte sie los.
Auf dem Weg zur Werkstatt begegnete Vela immer wieder Dienern, Höflingen und Palastwachen. Niemand sprach mit ihr, doch alle fassten sie ins Auge, als sie vorbeieilte, offen oder verstohlen. Die einen betrachteten sie mit zusammengekniffenem Mund und boshaften Blicken, als wäre sie eine schlimme Verbrecherin, die anderen voll Mitgefühl. Beides sprach dafür, dass ihr Vater wirklich großen Ärger hatte.
»Das ist seine Tochter«, hörte sie einen Höfling flüstern, und sie eilte weiter, ohne sich umzudrehen. In seiner Stimme hatte keine Spur Mitgefühl gelegen.
Jede Begegnung ließ sie schneller gehen, bis sie am Ende schnaufend vor der großen, beschlagenen Eichentür stand, hinter der die Werkstatt lag. Sie stemmte sich dagegen, bis sich ein schmaler Spalt öffnete, durch den sie schlüpfte. Sofort schlug ihr der Geruch von Schmieröl, Metall und Rauch entgegen.
An den Wänden hingen unzählige Laternen, die den Raum nach Sonnenuntergang vollständig ausleuchten konnten, denn es war wichtig, dass der Mechaniker alles genau sah. Deshalb besaß ihr Vater auch Augengläser in unterschiedlicher Dicke, die ihm halfen, die winzigen Zahnräder zu erkennen. Dabei war das Problem häufig nicht seine Sehkraft, sondern seine großen Hände, mit denen er versuchte, die Schrauben zu greifen. »Fitzlige kleine Dinger«, nannte er sie manchmal.
Es gab drei Feuerstellen, in denen Metall erhitzt werden konnte, und an allen Wänden standen Regale, die bis unter die Decke reichten. Dutzende Kisten in allen Größen stapelten sich dort, manche waren beschriftet. Rundschrauben für dieWasserpumpe war darauf zu lesen. Oder auch Rollen für Teetische . Auf einer stand sogar Glasaugen für Palastwachen , die beim Training ein Auge verlieren . Und natürlich Augengläser links und Augengläser rechts .
Auf der linken Seite, in einem grün gestrichenen Regal, lagen die Uhren, die für die Stadt hergestellt wurden. Jedes Gehäuse sah unterschiedlich aus. Manche Uhren waren groß wie ein Schrank, andere nur so klein wie Velas Handfläche. Einige schlugen zu jeder Stunde, andere pfiffen um Mitternacht ein Lied oder schepperten bei Sonnenaufgang: »Guten Morgen!«
Vela mochte die Uhren, und am liebsten mochte sie die, die
über der Tür hing und deren Ziffernblatt den Nachthimmel darstellte. Eine kleine silberne Kugel zeigte an, ob gerade Vollmond oder abnehmender Mond war.
An einem der langen, schweren Eichentische stand der große Tom, in seinen Ohren steckten Wachspfropfen, und er bearbeitete mit einer Feile ein langes Metallrohr, das er vor sich in einen Schraubstock gespannt hatte. Sein Gesicht war vor Konzentration zu einer Grimasse verzogen.
Vela ging auf ihn zu und stellte sich auf die andere Seite der Werkbank. Mit der Hand fuchtelte sie in seinem Sichtfeld herum, bis der Mann auf sie aufmerksam wurde und die Feile beiseitelegte.
Er zog sich die Wachspfropfen aus den Ohren. »Was machst du denn hier, Kleines?«
»Tom, du musst mir helfen. Sie haben Vater eingesperrt und machen ihn für den Verlust des Königsschlüssels verantwortlich.«
Er zog die Augenbrauen zusammen. »Ja, das habe ich schon gehört. Das ist sehr ungerecht. Ich weiß doch, dass er nichts dafür kann.«
Erleichtert atmete Vela auf. Tom glaubte ihr. »Was machen wir denn jetzt?«
»Wie meinst du das?«
»Na, wir müssen doch irgendjemand überzeugen, dass er Vater frei lässt. Den Kanzler zum Beispiel. Du musst mit ihm reden, damit er das Gesetz außer Kraft setzt.«
»Ach Vela.« Tom legte den Kopf schief und stützte die Hände auf die Werkbank. »Das wird wohl nicht gehen. Das Gesetz kann man nicht einfach so ändern. Das kann doch nur der König.«
»Aber der König ist nicht aufgezogen!«
Tom nickte bedauernd. »Dann müssen wir wohl abwarten. Da kann man nichts machen.«
Sie konnten doch nicht einfach tatenlos abwarten! Tom arbeitete schon so lange mit ihrem Vater in der Werkstatt. Neben dem Königsmechaniker musste es ja auch noch einen
Weitere Kostenlose Bücher