Der Königsschlüssel - Roman
nur Mechanik«, brüllte sie zurück. »Irgendetwas treibt den Schrott an.«
Es war ein gewaltiger Fluss, ein richtiger Strom, mehrere hundert Schritt breit, und nirgends war eine Brücke in Sicht. Nur ein dünnes Seil war über ihn gespannt, das auf ihrer Seite an einem aufrecht stehenden Steinmonolithen mit alten Runen
festgebunden war. Behände kletterte der Raumgeist hinauf und begann, auf dem Seil zu balancieren.
Vela zog ihn an der Leine zurück und verstaute ihn wieder in seinem Kästchen. »Du alberner kleiner Kerl. Wie sollen wir denn über das Seil balancieren?« Über das Knirschen und Schaben des Stroms hinweg rief sie Cephei zu: »Und nun? Ich kann da nicht rüber.«
»Ich auch nicht. Und schwimmen können wir ebenso wenig.«
»Nein, schwimmen können wir nicht«, wiederholte Vela. »Meinst du, wir können drüberlaufen?«
»Zu starke Strömung. Sie würde uns fortreißen, schau dir die Wirbel an.« Cephei zeigte auf eine Stelle, wo der Schrott hüfthohe Wellen bildete. Ein handgroßer Haken und andere Teile wurden mehrere Schritte durch die Luft geschleudert und schlugen
dann wieder auf dem Schrott auf. »Oder solche Spritzer würden uns treffen.«
Ratlos starrten sie weiter auf den dahintreibenden Schrott. Manchmal wurden ein paar rostige Teile nach oben geworfen, als würde ein Tier nach Luft schnappen. Doch welche Tiere sollten hier leben können? Mechanische Fische? Cephei konnte sich nicht vorstellen, dass es so etwas außerhalb des Königsschlosses gab. Und überhaupt, wer würde sie denn jedes Jahr aufziehen?
Vela holte sich eine faustgroße Mondnuss aus dem Rucksack und begann, darauf herumzukauen. »Lass uns was essen. Danach überlegen wir weiter.«
»Keinen Hunger«, rief Cephei. »Aber ich schau mal, ob hier genießbare Wurzeln oder so zu finden sind.«
Viel Hoffnung hatte er allerdings nicht, er wollte nur nicht
tatenlos auf den Schrottfluss starren. Wie sollten sie ihn nur überqueren? In keiner Richtung war eine Brücke zu sehen. Er hob einen Stein vom Boden und warf ihn mit einem Fluch in den Schrott. Dann noch einen und noch einen und einen noch viel größeren, und als ihm der Arm schmerzte, schlenderte er zu Vela zurück.
Es war bereits Abend, und so beschlossen sie, ihr Lager aufzuschlagen und am nächsten Tag weiterzusehen. In den letzten Wochen waren ihre Beine kräftiger geworden, fühlten sich aber dennoch schlapp und schwer an. Sie zogen sich ein Stück vom Fluss zurück, damit sein Lärmen ihre Ruhe nicht störte, und bereiteten ihr Lager in einer geschützten Bodensenke, an deren Rand kleine knorrige Büsche standen und sie verbargen.
»Ich hätte gern mal wieder mein Hemd gewaschen«, sagte Vela leise, als sie sich hinlegte. »Aber in diesem Fluss gäbe das wohl nur Löcher.«
Cephei lachte und übernahm die erste Wache. Der Staub in den Kleidern störte ihn weniger, er vermisste vielmehr den kräftigen Braten, von dem er früher manchmal nachts in der Speisekammer stibitzt hatte. Und er wäre gern ein paar Züge in einem richtigen Fluss geschwommen.
»Meinst du, die Ritter sind inzwischen aufgebrochen?«, fragte Vela irgendwann leise. Er konnte nicht erkennen, ob sie hoffnungsvoll oder zweifelnd klang.
»Kann schon sein.« An die Ritter hatte Cephei lange nicht mehr gedacht. Seltsamerweise hatte er sich nie vorgestellt, wie sie ihn und Vela einholten, das hatte er immer nur Urs zugetraut. Wenn er jetzt daran dachte, fragte er sich, ob sie nicht irgendwann Kunde erhalten würden, dass die Ritter vielleicht schon bei der Hexe in der Südlichen Feste gewesen waren und der
Schlüssel längst zu Hause beim König war. Die Ritter hatten schnelle Pferde und kannten vielleicht andere Wege. Dann müssten er und Vela sich zwar nicht mehr in Gefahr bringen, aber Ruhm würden sie so auch nicht erlangen.
Über diesen Gedanken dämmerte er weg, noch bevor der Mond richtig aufgegangen war.
Am nächsten Morgen erwachten sie früh. Obwohl Cephei während seiner Wache eingeschlafen war, machte ihm Vela keine Vorwürfe - es war ihr in letzter Zeit auch öfter passiert. So hatten sie wenigstens beide durchgeschlafen und waren ausgeruht. Sie packten zusammen und liefen wieder zum Fluss.
Als sie dort anlangten, sahen sie an seinem Ufer einen kräftigen Mann in lederner Hose und mit nacktem sonnengebräuntem Oberkörper. Über seine rechte Schulter verlief ein Gewirr aus alten Narben, das lange dunkle Haar hatte er im Nacken zusammengebunden. Er sah auf den Fluss hinaus und
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