Der Kofferträger (German Edition)
mit Onkel Hans, Tante Marga und Jürgen. Mitten in einem Naturgebiet, in dem ein strikter Baustopp verfügt worden war. Anita setzte ihren Wunsch spielend leicht bei H.B. und dieser die Befehle bei den örtlichen Behörden durch. Der Kanzler hatte für solche Vorhaben nur ein leichtes Grinsen übrig. Er versuchte nicht zu überreden, nicht zu überzeugen. Er veranlasste. Der Architekt des Kanzlers war erschienen, hatte ein paar Dutzend Buchen und Eichen fällen lassen und das Haus nach Anitas und des Kanzlers Vorstellungen gebaut. Von dem kleinen Gasthof auf der gegenüberliegendenPfaueninse l aus war ihr Heim in seinem Wert richtig zu würdigen. Es lag majestätisch zwischen den Bäumen und verhieß Sicherheit und Wohlstand. Keinen Besucher gab es bei ihnen, der nicht bei seiner ersten Ankunft zunächst auf die Insel geführt worden wäre. Auf der Terrasse des kleinen Lokals saß man gewöhnlich mit dem Rücken zum Restaurant. Anita erklärte dann ihren Gästen bei russischem Tee und leichtem Gebäck den erstaunlichen Blick über den See auf den eigenen Besitz.
„‚Nikolskoe‘, ist der Name dieses Ortes.“ Sie dozierte stets mit ausladenden Gesten wie eine Fremdenführerin. „Der Name heißt ‚eigen dem Nikolaus‘. Das bedeutet, der Gattin des russischen Zaren Nikolaus zu eigen. Wilhelm III. hatte das russische Blockhaus und jetzige Waldrestaurant seiner Tochter Charlotte nach ihrer Hochzeit geschenkt. Ähnlich so, wie mir mein Onkel die Villa Nikolskoe geschenkt hat. Mit einem Unterschied, komfortabler und größer ist unser Haus.“
Schütz mochte es nicht, wenn sie mit ihrem Besitz prahlte. Jedes Mal wenn er sie allerdings darauf ansprach, reagierte sie bösartig.
„Was willst du eigentlich?“, wies sie ihn selbst vor anderen zurecht. „Das Leben ist ein Kampf. Jeder muss sehen, wo er bleibt. Niemals werde ich dieses Haus aufgeben.“
Dabei hatte sie ihn sogar schon einmal in Anwesenheit der Anderen angebrüllt. Natürlich war das den Gästen peinlich gewesen.
„Anita beruhige dich, niemand verlangt von dir, das Haus aufzugeben. Warum auch?“
„Niemand wird es mir wegnehmen, es gehört mir!“
Stets spulte danach Anita ihre Geschichte wie von einem alten Grammophon ab. Wie sie eines Tages ihren betrunkenen Vater aus der Kneipe geholt hatte. Wie er das letzte Geld versoffen hatte. Die Mutter begann zu Hause mit den Kindern zu darben. Schütz wusste wohl, wie wahr ihre Geschichte war. Eigentlich zu alltäglich und zu banal, als dass sie immer wiederholt werden musste. Bei Anita waren nach diesen Erlebnissen schwärende Wunden zurückgeblieben. Nie wieder in ihrem Leben würde ihr so etwas passieren.
Die Autos zu seiner Rechten und Linken begleiteten Jürgens Weg zu seinem Haus wie Symbole des neuen Reiches. Wer die Hand auf dem Beutel hat, hat die Macht, fiel ihm ein Zitat von H.B. ein, das er Reichskanzler Bismarck zugeschrieben hatte. Die dritte und vierte Generation nach dem Zweiten Weltkrieg genoss ohne Krieg und wirtschaftliche Krise das Erbe der Väter. Billionen und Aberbillionen von DM-Vermögen wurden Jahr für Jahr an die Nachfolger vermacht. Der Reichtum wurde genossen ohne Hemmnis durch Kinder. Es zeigte sich eine gefährliche Art wirtschaftlicher Bequemlichkeit in seinem Kreis. Sie machte ihm Angst und Bange.
Wenn er ehrlich zu sich war, musste er zugeben, dass ih m dieses Partygeschwätz zuwider war. Diese nutz- und geistlosen Gespräche der dumpfen kleinen und großen Kapitalkönige, die sicher alle eine Rolle in der Politik spielen könnten.
Unter den Edelkarossen vor seiner Haustür war alles zu finden, was Rang und Namen hatte. Der silbermetallisch glänzende Jaguar, von der einst britischen Firma, die sich schlussendlich BMW vor ein paar Jahren unter den Nagel gerissen hatte, ebenso wie der sportlichste BMW selbst, der ZA 0. Ein hellgrüner glitzernder Mercedes der Superklasse, einer Staatskarosse gleich. Ein Renault mit französischem Stander und der große weiße Citroën. Nicht zu vergessen der Neueste aller Neuen, die erfolgreichste Limousine zurzeit auf dem Markt der Reichen, der sportliche Audi. Schwarze und beige Porsche in Variationen. Ein hellgrüner Maserati und der erdbeerrote Ferrari. Eine glänzende Ansammlung europäischer Autobaukunst. Die Ferra ri s, Masera ti s und Lamborghi ni s hatten dem Klub seiner Freunde den edlen Namen ‚die RITINI’s‘ eingebracht. Elektroautos? Fehlanzeige. Sie wurden von den Ärmeren gefahren. Doch zwischen all den funkelnden
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