Der Kofferträger (German Edition)
großes Verständnis für ihn, wenn ihn die Arbeit länger im Büro oder sonst wo festnagelte. Auch an diesem Abend gab er der Kraft nach, die ihn wie ein Saugnapf an seinen Schreibtisch zurück sog. Der Portier grüßte freundlich.
„Doch noch ein wenig mehr arbeiten, Herr Schütz“? , fragte er den Heimkehrer mit einem vorwurfsvollen Unterton.
Jürgen Schütz hatte der Schauer geheimnisumwitterter Unruhe noch niemals zuvor bei seiner Tätigkeit überfallen. Das Bildnis des an dem Strick hängenden Klingenberg brannte ihm in der Brust. Gab es hier etwas, das er nicht wissen sollte? Über seine direkte Wahrnehmung hinaus flogen unheilvolle Schatten heran, die ihn verwirrten.
Er nahm den Aufzug, fuhr zum siebten Stock hinauf, in dem der Kanzler seine Getreuesten um sich geschart hatte. Kabinettssaal und wichtige Konferenzräume lagen eine Etage tiefer. Wie blind starrte er über den jedes Geräusch aufsaugenden Flor, als könnte er dort die Lösung seiner Frage finden. Jetzt flüsterte ihm der lange Flur auch noch ein Geheimnis ein. Unruhe, es war sogar Angst, die ihn erschauern ließ. Und beinahe hätte er W.B. umgerannt, den Schatzmeister der PCD, seinen direkten Chef. Sie grüßten sich nur kurz. Das ewig wissende, zynische Lächeln um den Mund des Verwalters der Schatztruhe kotzte ihn an.
Ic h kann den Kerl nicht ausstehen, dachte Jürgen, und er mich noch viel weniger.
Dabei ärgerte sich der Schatzmeister über das gute Verhältnis des Generalbevollmächtigten zum Kanzler. W.B. streifte ihn mit seinem grinsenden Blick. Viele unausgesprochene Worte erfüllten für Sekundenbrucht eile den Luftraum zwischen ihnen, bildeten an verschiedenen Eckpunkten Knoten, die zu knistern schienen. Diesmal hatte Schütz sein Geheimnis. Die Überweisung. Das Problem hatte er noch nicht gelöst.
Zurück an seinem Schreibtisch, zog er die handschriftliche Notiz des Kanzlers heraus, die ihm so viel Kopfzerbrechen verschaffte.
„Überweisung an „Intercom A.G., Vaduz, Liechtenstein, umgehend erledigen. Betreff: siehe getrennter Brief des Vorsitzenden. Betrag DM 1.200.000,- Abgabekonto frei lassen, begünstigtes Konto: 206 401 509, Intercom AG, BLZ 2 608 509 010, Euro Bank, Vaduz, heutiges Datum.“
Das war alles, was da stand. Was war es aber, was ihn so stutzen ließ? Wovor war er in die Bierkneipe geflüchtet? Die Höhe des Betrages, Konto freilassen, Betreff und die Richtung Vaduz, das alles zusammen war ungewöhnlich.
Wenn da etwas Geheimes im Gange war, warum hatte der große Chef die Überweisung nicht selbst ausgefüllt? War dieser Zettel nicht für ihn bestimmt?
Jürgen dachte an den nächsten Urlaub mit seiner hübschen Frau Anita. Er dachte an sein schönes Zuhause, das Einfamilienhaus am Wannsee, genau gegenüber der Pfaueninsel, das ihnen Anitas Onkel zur Hochzeit geschenkt hatte. Überhaupt gingen ihm die schönen gesellschaftlichen Abende mit seiner neuen Familie durch den Kopf. Haus, Urlaub, Gesellschaften und ein neuer BMW, nicht zu vergessen der Montblanc und die Uhr. Zusätzlich winkte ihm eine großartige Karriere. H.B. tat eine Menge für seine Nichte. Und er, Jürgen, profitierte davon. Immer wieder musste er auf die Zahl 1.200.000,- schauen.
Er entschied sich, einfach das zu tun, was seine Aufgabe zu sein schien, die Überweisung, wie aufgetragen, auszufüllen. Dann nahm er die schwarze Unterschriftenmappe, legte das Papier dort hinein und ging zur Tür. Nur einen kurzen Moment zögerte er, wandte sich um und legte das Formular auf den Kopierer. Die Kopie flatterte in seinen Schreibtisch aus rotem Buchenholz, den er sorgfältig verschloss. Schnell noch rief er Anita an, um ihr mitzuteilen, er käme später. Sie zeigte, wie stets, das größte Verständnis für ihn. Über den Telefonhörer drangen Hintergrundstimmen an sein Ohr, lachende, fröhliche Menschen. „Nichts weiter“, meinte sie. „Ein paar Freunde sind zu Besuch.“ Dabei ärgerten ihn die vielen Partys. Konnte sie nicht einen einzigen Abend ohne diese ständigen Saufgelage auskommen?
Für den Aktenraum neben dem Kanzlerbüro besaß er einen Schlüssel. H.B. hatte von Anfang an das Schatzmeisteramt seiner Partei in seine unmittelbare Nähe geholt, um die vertrauensvoll notwendigen Dinge zügig in Gang setzen zu können.
„Wir haben keine Geheimnisse “, hatte er gesagt, „erst recht haben wir nichts zu verbergen.“
Unterschriftenmappe und die schriftlichen Nachweise ausgeführter Aufträge brachte er immer gleich ins
Weitere Kostenlose Bücher