Der Kofferträger (German Edition)
aus der noch unberührten Packung und sog gierig den Rauch in seine Lungen. Spontan wurde er ruhiger. Seine Aufregung legte sich, und er sah diese Welt nicht mehr so trostlos. Die Zigarette aktivierte ihn, und er vergaß den Schmerz um sich herum.
„Stört es Sie auch wirklich nicht, wenn ich rauche? “, fragte er, dabei blies er den Dunst schon längst über ihren Kopf. Frau Klingenberg beachtete seine Frage nicht.
„Ich hab es geahnt, ich hab es geahnt“, flüsterte sie nach einer Weile. „Warum habe ich nicht einmal in der Elberfelder nachgesehen, nicht einmal nach dem Schlüssel gefragt? Diese Schweine, oh Gott, Herr Schütz, wo sind wir gelandet?“
„Frau Klingenberg“, begann er zögerlich, „es ist immer schwer und unverständlich, wenn ein Mensch freiwillig aus dem Leben scheidet. Und doch ist es besser, wenn Sie sich mit den Tatsachen auseinandersetzen.“
Ihre Tränen versiegten, sie wischte sich mit einem Tuch über die Augen. Die Züge in ihrem Gesicht froren zu einer starren Maske ein. Mit ruhiger und kalter Stimme bedankte sie sich bei ihm.
„Herr Schütz, Sie haben Ihre Pflicht getan. Bitte gehen Sie jetzt.“
Längst hatte sie sich erhoben, wandte ihm den Rücken zu und öffnete die Wohnungstür. Sein Glas Wasser stand unberührt auf dem Couchtisch. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, deutete sie mit einer Handbewegung auf den Ausgang. Als er in ihre Augen schaute, schwieg er und lief die Treppen hinunter, verfolgt von dem Aufflackern eines ersten Zweifels in seinen Gedanken. Mochte an den Äußerungen der Frau etwas dran sein? Warum wies sie ihm die kalte Schulter? Ein weiterer Zug aus der Zigarette ließ das Leben leichter erscheinen. Er konnte ohnehin nichts daran ändern.
Sein Umweg führte ihn über die Beussel Straße an die Spree hinunter. Angefüllt mit Wut im Bauch warf er ein paar Steine in den Fluss. Eine hilflose Geste. Dann kehrte er zur Elberfelder zurück, um sein Auto zu holen. Die beiden Polizisten beschäftigten sich mit der Aufnahme von Protokollen und Zeugenaussagen. Mittlerweile hatte sich die untersuchende Mannschaft vergrößert. Fotografen, Gerichtsmediziner, Kriminalbeamte und ein Haufen von Presseleuten hatten sich eingefunden.
„Ein schwerer Job, den sie da gemacht haben“? , fragte ihn der Polizist routinemäßig.
„ Zwei kleine Kinder, fünf und sieben Jahre alt.“
„Wieso bringt er sich dann um?“
“Er hatte es in der Parteizentrale nicht immer leicht.“
Der Beamte war gerade dabei, ein paar Geräte in den Wagen zu schaffen. Er hielt in seiner Bewegung inne und schaute aus gebeugter Haltung von der Höhe des Kofferraumes zu Schütz auf. Seine Augen glotzten übermäßig groß.
„Der Kommissar hat mit dem Kanzler telefoniert. Es gab da eine Auseinandersetzung wegen geldlicher Dinge. Schulden oder so. Der Kanzler habe dem Kommissar aber versichert, er übernehme jegliche Schulden für seinen Mitarbeiter.“
„Sehr edel“, entfuhr es Schütz zynisch. Erneut spürte er das Aufflackern einer inneren Unruhe.
„Was ist, was sagten Sie da?“
„Ach nur so, in welche Situationen die Menschen sich immer wieder bringen, das ist schon erstaunlich.“
„Ja, ja“, brummte der Polizist. Schütz glaubte nicht, dass sie beide das Gleiche meinten.
2 Irrläufer
„Was für ein seltsamer Beleg?“, er zog den Arm seiner weißen Schreibtischlampe näher zu sich heran, um die Papiere auszuleuchten. Unwillig machte Jürgen Schütz eine Handbewegung und schob einen Teil der Papiere außer Sichtweite, als sein Blick auf einen abgerissenen Zettel fiel. Zufällig war er ihm in die Hände geraten, so als wäre er gar nicht für ihn bestimmt und er sich unbeabsichtigt in seinen Unterlagen befinden würde. Eine Anweisung für eine Überweisung. Der Wisch war an niemanden gerichtet, die Aufgabe fiel wohl ihm zu. Der Betrag, war es, der ihn stutzig machte.
Er griff zu einem Überweisungsformular und begann es mit seinem Montblanc ‚Meisterstück Platin Nr. 1‘ auszufüllen. Den griffigen Füllfederhalter ließ er zwischen seinen Fingern tanzen . Jeder Gebrauch vermittelte ihm das Gefühl einer bedeutenden Aktion. Bedeutend waren die Dinge, die sich auf seinem Schreibtisch zur Erledigung ansammelten. Sein oberster Chef und Kanzler hatte ihm das eingeprägt und ihn anlässlich der Ernennung zum Generalbevollmächtigten mit diesem Platinstück überrascht.
„Denk daran, Jürgen, alles, was du hier tust, ist erfolgsentscheidend für unsere
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