Der Kofferträger (German Edition)
imponierte die Machtzentrale der Bundesrepublik, einerseits angrenzend an die Spree, andererseits an das Forum. Noch im Foyer des Gebäudes, zwischen den sechsunddreißig Meter hohen Säulen und der lichtdurchlässigen Glaswand, knöpfte Schütz den aufgestellten Kragen seines Mantels fest zu und spannte seinen Doppelschirm, Marke MESF auf. Eines der vielen nützlichen Geschenke des Pharmariesen dachte er. Die MESF hat nicht nur bei den Regenschirmen Einfluss.
Auf seine Gesichtshaut peitschte der nasskalte Wind. Ein scheußliches Wetter. Obwohl es erst gegen 19.30 Uhr war, lag ein stockdunkler Himmel über Berlin. Straßen und Geschäfte stachen aus der Dunkelheit mit ihren lebendigen Reklameschriften heraus. Nässe und Kälte schienen den Menschen nichts anzuhaben. Wie immer regte sich ein geschäftiger Betrieb im Regierungsviertel, das sich durch den gesamten Spreebogen zog, als wäre man nachts in der Vergnügungsmeile des Teutonengrills Honolulu. Vielleicht erinnerte ihn gerade das Sauwetter an der Deutschen liebsten Urlaubsstrand.
Menschen aus allen Herren Länder verließen die Büros, andere eilten geschäftig in die Häuserblocks. Der Rest machte sich auf den Weg zur U-Bahn unter dem Forum oder suchte noch schnell eine der typischen Berliner Kneipen auf. Auch er konnte sich der „Urquellklause“ in der Paul-Löbe-Allée nicht entziehen. Das warme Licht saugte ihn durch das offen stehende Portal wie ein Türsteher nach innen. Die gemütliche Bar, nahe dem Haus der Kulturen war inzwischen zum Lieblingsrestaurant des Kanzlers avanciert, und so auch zu seinem. Hinter der Eingangstür empfing ihn ein miefiger Dampf. Spontan befand er sich mitten in dem wirren Trubel. Zwischen all den Wichtigkeit strotzenden Figuren bahnte er sich einen Weg bis zur Theke. Er hängte seinen tropfnassen Mantel an den Kleiderhaken. Typisches Kneipen- und Barambiente. Glattpolierte Stehtheke mit umlaufender Messingreling. Kleine, runde Glastische mit schmalen Stühlen und Hockern.
Vor allem aber die freundliche, vollbusige Angela hinter dem Tresen schenkte den Bürohockern vor ihrer Heimfahrt manch tiefen Einblick in die Gelüste dieser Welt. Mit unverhohlener Freude über den neuen Gast legte sie unaufgefordert den Bierdeckel vor ihn auf den Schanktisch am äußersten Ende der Bar. Schütz bot ihr eine ‚ Happy Hour ‘ Zigarette an, und schon entlohnte ihn ein Blick in ihren Busen, als sie sich über das entflammte Streichholz in seiner Hand beugte.
An seine unerledigte Überweisung denkend, presste er seine Fingernägel in den weichen Filz. Dabei nickte er dem Schriftzug darauf freundlich zu. „Pilsener Urquell, das einzig wahre und deutsche Urquell“, protzte ihn die Werbebotschaft an. Obwohl er in seiner Stammkneipe war, erkannte Jürgen auf den ersten Blick nicht einen einzigen Bekannten. Angela nahm ihm freundlich sein Spielzeug aus den Händen und stellte das sieben Minuten lang gezapfte Bier lächelnd auf den Deckel. Er betrachtete abwägend die hohe Krone, bevor er seine Nase tief in den quellenden Schaum steckte und ihn nach einem kräftigen Schluck mit dem Handrücken aus dem Gesicht wischte. „Ahh“, atmete er genießerisch aus und stellte das Glas auf den Deckel zurück. Mit ein paar Schluck Bier versuchte er die innere Unruhe, die ihn wie ein zu schnell schwingendes Metronom überfiel, in Grenzen halten.
Welch ein Glück, dass sich Hans Braunegger so engagiert hatte. Als die Brauerei in Pilzen an die Börse gegangen war, hatten Deutsche Bank und Deutsche Nestlé AG nicht gezögert, mithilfe des Kanzlers in einer feindlichen Übernahme das traditionsreiche Unternehmen aufzukaufen. Halt ein exzellentes Gesöff schlürfte Schütz diese Gedanken in sich hinein, und Angela liebäugelte schon mit dem zweiten Glas vor ihm.
Sie strahlte ein verlockendes Lächeln aus. Verdammt dachte Jürgen, ein hübsches Weib, es würde sich schon einmal lohnen, abends bis zu ihrem Feierabend da zu bleiben. Unzweifelhaft schenkte sie ihm die gleichen Signale. Obwohl er genau wusste, wie vorsichtig er als ‘H.B.‘ Schwiegerneffe zu sein hatte. Seine Frau Anita, Nichte des schwergewichtigen Kanzlers, war stets bestens über jeden seiner Schritte informiert. Auch gut so dachte er. Die Welt ist voller verführerischer Abenteuer.
Man brauchte sich nur umzuschauen. Je erfolgreicher die Mädels, desto hübscher waren sie. Und hier in dem Regierungsviertel waren viele sehr erfolgreich. Dazu kam es den Frauen gelegen, dass die Männer
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