Der Kojote wartet
und Uhrzeit an. In der Zeile über ihm hatte sich ein gewisser John Todman eingetragen. Chee stellte fest, daß die alten Bilder, für die sich Todman interessierte, als »Photos aus der Bergarbeitersiedlung Golightly« bezeichnet waren.
Wer könnte sich noch für Ashie Pintos alte Aufnahmen interessiert haben? fragte er sich. Wahrscheinlich kein Mensch.
Er blätterte eine Seite zurück und überflog die Eintragungen. Noch eine Seite. Und noch eine. Und wieder eine. Auf der sechsten Seite, deren erste Eintragungen Mitte Juli gemacht worden waren, fand er eine, die »Navajo-Sprachbänder
- Pinto« lautete.
Der Entleiher war ein gewisser William Redd gewesen. Chee schob nachdenklich die Unterlippe vor. Er blätterte weiter. William Redd hatte diese Aufnahme auch an den drei Tagen zuvor angefordert. Er notierte sich die Anschrift und sah auf seine Uhr.
Es war noch früh. Er würde bei dieser Adresse vorbeifahren und nachsehen, ob dort ein alter grüner Bronco II mit dem Kennzeichen REDDNEK geparkt war.
8
Jim Chee in Albuquerque war ein Jim Chee ohne Fahrzeug - eine Ente außerhalb des Wassers. Gestern hatte er seinen Pickup am Flugplatz Farmington abgestellt, war mit Mesa Airlines nach Albuquerque geflogen und hatte sich ein Taxi genommen, um ins Hotel zu fahren. Auch an diesem Morgen war er mit einem Taxi ins Verbrennungs- und Traumazentrum des Krankenhauses der University of New Mexico gekommen. Die Ausgaben dafür würde er von seiner Krankenkasse ersetzt bekommen. Aber Taxis waren teuer, und Albuquerque hatte sich wie alle Großstädte des amerikanischen Westens jenseits des Mississippis unter der Annahme ausgedehnt, daß alle über Vierzehnjährigen sich mit eigenen Fahrzeugen fortbewegten. Es gab auch einige Buslinien, wenn man sie zu benutzen verstand. Aber Chee kam mit dem System nicht zurecht und fühlte sich in Taxis unwohl.
Als er jetzt vor dem Problem stand, wie er von der Universitätsbibliothek wegkommen sollte, tat er etwas für den Westen Typisches: Er rief eine Freundin an, um sich abholen zu lassen.
»Ich müßte eigentlich arbeiten«, sagte Janet Pete.
»Ich rede von Arbeit. Hol mich vom Parkplatz hinter der Zimmerman Library ab, dann können wir weitere Ermittlungen im Fall Pinto anstellen.«
»In welcher Richtung?« Janets Stimme klang mißtrauisch. »Erinnerst du dich an das Kennzeichen REDDNEK, das dir bei unserem Ausflug an dem alten Bronco aufgefallen ist? Ich komme gerade aus dem Lesesaal, wo ich mir Aufnahmen mit Ashie Pinto angehört habe - und dabei habe ich festgestellt, daß sie auch von einem Kerl namens Redd entliehen worden sind. R-E-D-D - genau wie auf dem Kennzeichen. Er hat sie sich ungefähr eine Woche vor dem Mord an vier Tagen hintereinander ausgeliehen.«
Sogar in Chees Ohren klang das alles schrecklich trivial. Er war darauf gefaßt, daß Janet »Na, und?« sagen würde. Aber sie äußerte sich überhaupt nicht dazu.
»Na?« fragte er schließlich. »Genügt das nicht als Ausrede?«
»Ich kann nicht sofort, Jim. Kann ich dich in einer Stunde abholen? In anderthalb Stunden?«
»Ja, natürlich«, antwortete Chee, dem es schwerfiel, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Ihm war klar, daß Janet Wichtigeres zu tun hatte, während er sich nur die Zeit vertreiben wollte, und er fragte sich, was sie von ihm denken mochte. »Ich gehe zum Studentenbüro rüber und trinke einen Kaffee.«
Als Chee den mit Klinkersteinen gepflasterten Platz überquerte, fiel ihm etwas anderes ein. Da er Redd jetzt nicht überprüfen konnte, würde er die Wartezeit nutzen, um Professor Tagert aufzusuchen. Vielleicht konnte Tagert ihm irgendwie weiterhelfen.
Der Fachbereich Geschichte war nach Chees Studienzeit umgezogen. Er fand ihn in einem hübschen alten Gebäude, das er als Studentenwohnheim in Erinnerung hatte.
Die Sekretärin am Empfang des Fachbereichs betrachtete ihn neugierig, wobei sie sich erst für seine verbundene Hand und danach für die Tatsache interessierte, daß er ein Navajo war. »Dr. Tagert?« fragte sie verhalten kichernd. Unter den Akten, die sich auf ihrem Schreibtisch stapelten, suchte sie rasch eine Liste heraus. »Er hat heute nachmittag Sprechstunde. Eigentlich gerade jetzt. Sie finden ihn in Zimmer zweihundertsiebzehn.« Sie zeigte den Flur entlang und kicherte nochmals. »Viel Erfolg!«
Die Tür von Zimmer 217 stand offen.
Chee blickte in einen überfüllten Raum, der von zwei hohen staubigen Fenstern erhellt und durch zwei zusammengerückte
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