Der Kojote wartet
gesagt, daß früher viele Leute aus dem Mud Clan dort Mais und Bohnen und Pfirsiche angebaut haben, und die Utes haben versucht, die Männer umzubringen und ihre Pferde und die Frauen und Kinder zu stehlen. Er hat erzählt, daß die Mexikaner damals, als sein Vater noch ein junge war, in Santa Fe bis zu hundert Dollar für ein Navajokind gezahlt haben. Und als die biligaana gekommen sind, ist der Preis weiter gestiegen, so daß ... «
Chee nahm den Kopfhörer ab und spulte die Kassette zurück. Das hier war reine Zeitverschwendung. Bisher hatte er lediglich die Bestätigung für etwas erhalten, was Janet Pete ihm erzählt hatte. Die Wissenschaft hatte Ashie Pinto schon seit langem als wertvolle Quelle entdeckt. Er kannte die alten Sagen, aus denen sich die Geschichte der Dinee rekonstruieren ließ. Und er kannte die Geschichte, wie das Heilige Volk die Menschen erschaffen hatte, aus denen später die Navajo—
Clans entstanden waren. Wunderbar. Aber was hatte das mit der Ermordung von Delbert Nez zu tun?
Chee rutschte auf dem harten Holzstuhl nach vorn, streckte die Beine aus und dachte darüber nach - und über die Grübeleien, die ihn hierhergeführt hatten.
Die Frage, die ihn am meisten beschäftigte, war nicht die nach dem Tatmotiv. Chee kannte das Motiv: Whiskey. Todilhil, wie die Navajos ihn nannten. In die biligaana-Sprache übersetzt »Wasser der Dunkelheit«. Aber die Navajos sprachen das Wort manchmal absichtlich falsch aus. Todilhaal, sagten sie - »Dunkelheit einsaugen« - und genossen die trockene Ironie dieses Wortspiels. Wie jeder Polizist wußte, wurde die Frage nach dem Tatmotiv überflüssig, wenn Whiskey im Spiel war. Der Tod schlummerte in der Flasche und wartete nur darauf, freigesetzt zu werden - das wußte jeder Polizeibeamte aus Erfahrung.
Nein. Chee beschäftigte eine andere Frage. Was hatte den Alten durch halb Arizona nach New Mexico in diese einsame Gegend geführt? Es mußte einen Grund dafür geben. Und wie, zum Teufel, war er dorthin gekommen? Pinto sprach Erinnerungen auf Band. Vielleicht hatte er an diesem Tag für einen Wissenschaftler gearbeitet. Vielleicht ergab sich aus der Überprüfung jener Leute, die Ashie Pintos Erinnerungen aufgezeichnet hatten, eine Liste mit Namen. Sogar mit Hinweisen. Vielleicht ging aus ihren Tonbandaufnahmen hervor, was Pinto ins Gebiet am Ship Rock geführt hatte. Vielleicht auch nicht. Jedenfalls hatte Chee jetzt seine Liste der Wissenschaftler, die solche Aufnahmen gemacht hatten.
Er sah in sein Notizbuch.
Professor Christopher Tagert, University of New Mexico, Fachbereich Geschichte.
Professor Roger Davenport, University of Utah, Fachbereich Anthropologie.
Professor Louisa Bourebonette, Northern Arizona University, Fachbereich Amerikanistik.
Professor Alfonso P. Villareal, University of New Mexico, Fachbereich Linguistik.
Vermutlich gab es weitere. Die vier Namen bezeichneten lediglich Kassetten mit Pintos Erinnerungen, die in dieser Bibliothek zur Verfügung standen. Falls in anderen Bibliotheken weitere Kassetten existierten, konnten sie aufgespürt, überspielt und hierhergeschickt werden. Das hatte ihm die - übrigens sehr freundliche - Dame am Schalter für Spezialsammlungen versichert. Aber Chee beschloß, ihr diese Mühe zu ersparen.
Die einzige Aufnahme, die auch nur vage interessant klang, war ein Interview, das Tagert mit Hosteen Pinto geführt hatte. Dabei hatte der Alte sich daran erinnert, was sein Großvater ihm von zwei Weißen erzählt hatte, die irgendwo südlich des San Juan River und nördlich der Chuska Mountains umgekommen waren.
Der Professor hatte sich insbesondere dafür interessiert, woher die beiden gekommen seien, und Ashie Pinto darüber hinaus nach dem Wann und Wo ihres Todes befragt. Pintos Antworten klangen vage, aber Tagert hatte wider Erwarten nicht nachgefaßt.
Vielleicht gab es zu diesem Thema eine spätere Aufzeichnung. Er würde Tagerts Nummer im Telefonverzeichnis der Universität nachschlagen, ihn anrufen und danach fragen.
Chee brachte den Recorder und die Kassetten zum Schalter zurück.
»Sie haben vergessen, sich ins Ausleihbuch einzutragen«, erklärte ihm die freundliche Dame. »Würden Sie's bitte nachholen?« Sie deutete auf ein großformatiges Buch, das aufgeschlagen auf einem Tisch neben der Tür lag.
Chee trug sich mit Namen und Adresse ein, ließ die Spalte Akademischer Fachbereich frei, schrieb »Aufnahmen von Ashie Pinto« in die Spalte Angefordertes Material und gab zuletzt Datum
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