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Der Komet

Der Komet

Titel: Der Komet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Stein
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ausgezeichnet. Ihr leichter slawischer Akzent störte gar nicht, eher trug er – weil sieihm bewusst entgegensteuerte – dazu bei, ihre Diktion noch deutlicher zu machen; die Dichterin verzichtete beim Lesen auf billiges pathetisches Donnergrollen, blieb andererseits aber auch nicht so unbewegt, als trüge sie aus dem Wiener Telefonbuch vor. Und war das gut, was sie da vorlas? Alexej von Repin glaubte, er könne sich kein Urteil erlauben. Zum Glück befand sich unter den Zuhörern aber ein kleiner dicklicher Kulturredakteur mit Brille und ergrauendem Bärtchen, auf dessen profunde Einsichten wir an dieser Stelle zurückgreifen dürfen. »Ein neues Talent ist anzuzeigen«, hieß es am übernächsten Tag im Feuilleton der Neuen Freien Presse. »Aber was heißt hier schon Talent? Das Wort ist ja beinahe eine Beleidigung bei einer Lyrikerin, die trotz ihres jugendlichen Alters offenbar fertig auf die Welt gekommen ist, die von Anfang an über sämtliche technischen Fertigkeiten verfügt, vor allem aber über das Wichtigste, das ein Dichter haben muss: eine eigene Stimme. Ana Dalmatin ist eine Slowenin aus der Untersteiermark, ihre Muttersprache beherrscht sie ebenso gut wie das Ungarische und Deutsche. Dass sie ihre Verse auf Deutsch vorlegt, ist eine bewusste Entscheidung, eine Liebeserklärung an die Sprache von Grillparzer, Rilke und Werfel. Eine Liebeserklärung aber auch an Egon Mautner, um einen Meister der neueren Moderne zu nennen, dessen Werk sich diese Dichterin in besonderer Weise verpflichtet fühlt; Anspielungen etwa auf Mautners ›Neue Wienerlieder‹, die der Schönberg-Schüler Max Deutsch kongenial vertont hat, können in ihren Versen gar nicht überhört werden. Ana Dalmatin ist eine Naturlyrikerin, als poetisches Material dient ihr vor allem ihre Kindheit auf dem Bauernhof. Offenbar verbindet sie mit dieser Kindheit ebenso gute wie schreckliche Erinnerungen. Ana Dalmatin verschmäht die traditionellen und komplizierten Gedichtformen nicht. AuchSonette und Villanellen meistert sie mit so leichter Hand, als würden sie ihr nicht die geringste Mühe bereiten. Ihre Verse sind so zart wie genau, die Metaphern stimmen in sich, ihre Bilder sind klar: Ana Dalmatin ist eine Dichterin und hasst das Ungefähre. Und wenn sie auch um den Schmerz der Kreatur weiß – eines ihrer eindrucksvollsten Sonette handelt von jungen Katzen, die von unbarmherziger Hand in einen Sack gebunden und in einem Teich ersäuft werden –, so beharrt sie doch darauf, inmitten des Schreckens das Schöne zu suchen.«
    Nun muss etwas Peinliches gebeichtet werden. Nach ungefähr zwanzig Minuten der Dichterlesung pochte mit einem Mal Alexej von Repins Blase auf ihr Recht. Champagner hatte immer diese Wirkung auf ihn, das hätte er bedenken sollen, ehe er sich von dem böhmischen Mädchen ein »Klaßerl Ssekt« und dann noch eines aufschwatzen ließ. Als die Dichterin aus der Untersteiermark in klassisch gefugten Versen die Heumahd beschwor, wurde ihm schon unbehaglich; wenig später las Ana Dalmatin ein Sonett über ihre Kindheit, das mit der Zeile »Eulen trugen die Nacht davon« begann – da ruckelte er längst ungeduldig auf seinem Stuhl herum, sein Inneres war zum Zerplatzen mit Flüssigkeit gefüllt, jede Sekunde dehnte sich und wurde zur Qual. So kam es, dass Alexej von Repin sich im Anschluss an die Lesung nicht am Applaus beteiligte, der höflich um ihn herum pritschelte. Stattdessen drückte er sich, nach allen Seiten um Entschuldigung bittend, zwischen den Sitzreihen ins Freie, stürzte mit hochrotem Kopf den nächsten Korridor hinunter und probierte eine Klinke nach der anderen, bis er endlich die richtige erwischte.
    Nachdem er sein Wasser abgeschlagen hatte, verweilte er noch ein paar Minuten in jenem Badezimmer (mussextra erwähnt werden, dass es mit weißem Marmor und edlen römischen Fliesen ausgelegt war, dass die Wasserhähne golden schimmerten?); schwach und aufregend lag das Parfum der Hausherrin in der Luft. Prüfend betrachtete Alexej von Repin sich im Spiegel. Das hätte er allerdings lieber nicht tun sollen. Die Sache war nämlich so: Alexej war hässlich (»schiech« sagen die Österreicher). Sein Haar lockte sich dünn und rötlich über der Stirn, im Gesicht störte ihn empfindlich das Fehlen eines Kinns, sein Mund war viel zu schmal; er hatte eine Hühnerbrust und war ein wenig verwachsen. Und erblickte er dort auf der Wange unter den Koteletten, wo er sich heute morgen rasiert hatte, etwa ein gelbliches

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