Der Kommandant und das Mädchen
ich mich auf den Rückweg ins Büro.
17. KAPITEL
A m Abend beeile ich mich, Krysias Haus zu erreichen. Sie sitzt im Salon auf dem Sofa und strickt, Łukasz liegt auf ihrem Schoß und schläft fest. “Ich muss sofort zu Alek”, erkläre ich leise. Weder zeige ich Krysia die Durchschläge, noch fragt sie mich, was ich entdeckt habe. Es ist besser, wenn sie so wenig wie möglich weiß.
Krysia nickt. “Ich werde sofort morgen früh versuchen, Kontakt aufzunehmen.”
Am nächsten Morgen bittet sie mich nach dem Frühstück, auf Łukasz aufzupassen. Minuten später kehrt sie zurück und trägt eines ihrer Sonntagskleider.
“Du gehst in die Kirche?”, frage ich erstaunt.
“Manchmal kann ich auf diese Weise Kontakt herstellen.” Nachdem sie gegangen ist, lasse ich mir die Ironie durch den Kopf gehen, dass die jüdische Widerstandsbewegung eine katholische Kirche nutzt, um untereinander Kontakt zu halten. Aber vermutlich ist das nur sinnvoll, denn die Kirche ist einer der wenigen Orte, an dem sich die Deutschen nicht zeigen.
Viele Stunden später kommt Krysia nach Hause. “Sie sind weg”, erklärt sie mit finsterer Miene und lässt sich in der Küche schwer atmend auf einen Stuhl sinken.
“Weg?” Aufgeregt knie ich mich vor sie hin. “Was soll das heißen?”
“Ich war in der Kirche, um meinen Kontaktmann zu treffen, doch er tauchte nicht zur üblichen Zeit dort auf. Ich wartete, solange ich konnte, aber ich sah weder ihn noch irgendjemand sonst. Also ging ich zur … zu einem anderen Treffpunkt, von dem ich weiß, dass sich dort üblicherweise ein Kontakt herstellen lässt.” Mir fällt auf, dass Morast an Krysias edlen Lederstiefeln klebt, und ich frage mich, wo sich dieser andere Treffpunkt befindet. “Ich traf einen Freund, von dem ich erfuhr, dass die Deutschen das Hauptquartier des Widerstands gestürmt haben. Zu der Zeit hielt sich dort aber niemand auf”, fügt sie schnell hinzu, als sie meine besorgte Miene bemerkt. “Und es wurde niemand festgenommen. Die Gestapo konnte auch nichts Belastendes finden.” Erleichtert nicke ich. Alek ist viel zu vorsichtig, als dass er Beweise herumliegen lassen würde. Ich erinnere mich, wie ich die Nachricht von Jakub verbrennen musste, die er mir einmal gegeben hatte. “Alek hat angewiesen, bis auf Weiteres Funkstille zu wahren”, fährt Krysia fort. “Die Bewegung ist untergetaucht.”
“Untergetaucht?”
“Ja”, erwidert sie. “Kein Kontakt, bis wir Gewissheit haben, dass es wieder sicher ist.” Sie beugt sich vor und zieht die Schnürsenkel ihrer Stiefel auf.
Ich versuche zu begreifen, was sie mir gerade erzählt hat. Kein Kontakt mehr zu Alek oder Marta, meinen einzigen Verbindungen zum Widerstand. Und zu Jakub. “Aber ich habe wichtige Informationen”, beharre ich. “Es muss irgendeinen Weg geben.”
“Ich habe jeden mir bekannten Weg versucht, aber ich fürchte, es ist unmöglich.” Krysia steht auf und will die Küche verlassen, bleibt dann jedoch stehen und dreht sich zu mir um. Sie hat einen verlorenen Ausdruck in den Augen, und ich sehe, wie sie angestrengt nachdenkt.
“Was?”
Sie schüttelt den Kopf. “Nichts. Es ist zu gefährlich.”
“Was ist zu gefährlich?” Ich richte mich auf und gehe zu ihr. “Krysia, wenn du eine Idee hast, dann lass sie mich wissen.” Ich nehme ihre Hand und drücke sie. “Bitte.”
“Vermutlich ist es zwecklos”, sagt sie zögernd. “Aber vor der Besatzung und auch noch zu Beginn des Krieges haben Alek und die anderen oft eine Kellerbar in der ulica Mikolajska besucht.”
Ich glaube, ich kenne das Lokal. Ein paar Mal bin ich dort vorbeigekommen, habe es aber nie betreten. Krysia fährt fort: “Der Wirt Franciszek Koch sympathisiert in einem gewissen Maß mit unserer Sache. Ich frage mich, ob er womöglich etwas weiß. Jedoch kann ich da nicht hingehen, das würde zu viel Aufmerksamkeit erregen.”
“Das stimmt”, pflichte ich ihr bei. Eine ältere Frau beim Kirchgang ist nichts Außergewöhnliches, doch in einer Bar, in der sich sonst nur jüngere Leute aufhalten, würde Krysia natürlich auffallen. Ich dagegen könnte hingehen. Gerade will ich ihr genau das vorschlagen, da mache ich den Mund wieder zu.
“Was ist?”, fragt sie und mustert mein Gesicht.
“Nichts”, erwidere ich. Es wäre sinnlos, ihr von meiner Idee zu erzählen, denn sie würde ohnehin nicht einverstanden sein. “Ich verstehe schon. Es ist zu gefährlich.”
Krysia ist von meinen Worten nicht überzeugt.
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