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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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sondern direkt nach Auschwitz und Belzec. Der Bericht besagt, dass bereits das Gelände vorbereitet worden ist, auf dem die neuen Baracken entstehen sollen.
    Ich lese nicht weiter, sondern wende meinen Blick von den Papieren ab. Meine Hände zittern. Man will meine Eltern in eines der Lager schicken. Denk nicht darüber nach, sage ich mir, weil ich weiß, dass ich dann wie gelähmt sein werde. Ich lese den Text ein zweites Mal, um mir die wichtigsten Punkte zu merken, doch mir wird schnell klar, dass ich mir so viele Details gar nicht merken kann. Außerdem sind Daten und Namen aufgeführt, die mir nichts sagen, die aber von Bedeutung sein könnten. Unschlüssig stehe ich da. Eigentlich wollte ich die Dokumente nur durchlesen und den Inhalt mündlich an Alek weitergeben. Nur darum hatte er mich gebeten. Doch wenn ich diese Schreiben sehe, weiß ich, dass das nicht genügt. Ich werde sie mitnehmen müssen.
    Oder zumindest eine Kopie. Als ich die Papiere hochhalte, sehe ich, dass sie mit Durchschlag geschrieben worden sind. Das zweite, dünnere Blatt löst sich vom Original. Kann ich es wagen, den Durchschlag mitzunehmen? Die Chance, dass dem Kommandanten das Fehlen des Durchschlags auffällt, ist gering, aber wenn ich mit diesem Dokument erwischt werde, wird mich das mein Leben kosten. Dennoch ist die Gelegenheit zu günstig, um sie ungenutzt zu lassen. Das Dokument selbst wird für Alek viel wertvoller sein als alles, was ich davon auswendig lernen kann. Vorsichtig löse ich von jedem der fünf Blätter den Durchschlag, dann lege ich die Originale zurück ins Geheimfach und schließe die Schublade. Als ich zur Uhr sehe, fällt mir auf, dass ich vor fast einer Stunde in die Pause gegangen bin. Malgorzata wird misstrauisch werden, wenn ich nicht bald zurückkehre. Ich falte die Durchschläge zweimal und schiebe sie in den Ausschnitt meiner Bluse. Nach einem letzten prüfenden Blick verlasse ich den Raum exakt so, wie ich ihn vorgefunden habe. Ich durchquere schnell das Wohnzimmer und sage mir erleichtert, dass ich es geschafft habe, während ich die Tür hinter mir zuziehe und abschließe.
    “Dzień dobry
, Fräulein Anna”, höre ich auf einmal eine Männerstimme hinter mir. Vor Angst werde ich ganz starr. Man hat mich erwischt, ich habe versagt. Langsam drehe ich mich um und sehe … Stanislaw, den Fahrer des Kommandanten. In einer Hand hält er einen Beutel mit Lebensmitteln.
    Ich versuche durchzuatmen. “
Dzień dobry
, Stanislaw”, bringe ich heraus. “Sind Sie nicht nach Warszawa …”
    Er schüttelt den Kopf. “Im Norden wird mit Schnee gerechnet. Der Herr Kommandant hielt es für besser, mit dem Zug nach Warszawa zu fahren. Dazu entschloss er sich erst heute Morgen.”
    “Oh.” Ich weiß, dass Stanislaw manchmal in die Wohnung kommt, wenn der Kommandant länger arbeiten muss und es etwas für ihn zu erledigen gibt. Aber mir wäre nie in den Sinn gekommen, dass er auch heute hier auftauchen könnte. Betreten schweigen wir beide. “Ich … ich musste nur ein paar Unterlagen herbringen, die der Kommandant benötigt, wenn er heute Abend zurückkehrt”, sage ich schließlich.
    Er nickt und erwidert: “Natürlich.” Seine ausdruckslose Miene lässt nicht erkennen, ob er mir glaubt. Plötzlich legt er den Kopf schräg und sieht auf meinen Oberkörper. Ich blicke nach unten und sehe, dass die Durchschläge aus meiner Bluse hervorlugen.
    “Oh …” Ich hebe eine Hand an die Brust. Stanislaw hat die Papiere gesehen, die ich mitgenommen habe. Hektisch suche ich nach einer Erklärung. Würde es wenigstens regnen, könnte ich behaupten, ich hatte diese Unterlagen nur unter meine Bluse gesteckt, damit sie nicht nass werden. Mir will keine Ausrede einfallen, sodass ich mich letztlich geschlagen gebe. “Ich brauche diese Papiere”, bringe ich hilflos heraus.
    Stanislaw sieht mich lange schweigend an. Ich frage mich, ob er überlegt, was er tun soll, doch plötzlich lächelt er flüchtig. “Natürlich”, wiederholt er und schiebt die Durchschläge so unter meine Bluse, dass sie nicht mehr zu sehen sind. Ohne ein weiteres Wort geht er mit den Lebensmitteln an mir vorbei in die Wohnung.
    Verblüfft sehe ich ihm nach. Er lässt mich davonkommen? Mir war nie der Gedanke gekommen, dass der Fahrer des Kommandanten etwas gegen die Deutschen haben könnte. Er ist ein Pole, und doch … Ich will gar nicht länger darüber nachdenken, sondern überprüfe, ob die Papiere nun wirklich sicher versteckt sind, dann mache

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