Der Kommandant und das Mädchen
und will von meinem Hocker aufstehen.
“Warten Sie”, erwidert er. “Trinken Sie erst Ihren Tee. Verhalten Sie sich wie ein ganz normaler Gast, sonst werden diese Männer dort misstrauisch.”
Wieder reagiere ich mit einem Nicken und setze mich hin. Koch dreht sich weg und geht zum anderen Ende der Bar, wo er Gläser abtrocknet. Ich betrachte seinen Rücken und gehe in Gedanken durch, was ich von ihm erfahren habe. Er weiß nicht, wo Alek und die anderen sind. Vielleicht haben sie sich tatsächlich abgesetzt. Nein, das ist doch lächerlich! Jakub würde mich niemals verlassen. Doch dann regen sich Zweifel. Was, wenn diese Sache, für die er kämpft, ihn in ein anderes Land führt? Oder wenn eine andere Frau sein Herz erobert hat? Nein, ich darf so etwas nicht denken. Nicht jetzt und nicht hier! Ich muss mich darauf konzentrieren, unauffällig diese Bar zu verlassen und zurück zu Krysia zu gelangen.
Ich trinke den Tee aus und lege ein paar Münzen auf die Theke. Ich überlege, ob ich alles hierlassen soll, was mir Krysia an Münzen und Scheinen mitgegeben hat, entscheide mich aber dagegen. Der Wirt hat mir gesagt, was er weiß. Er sieht zu mir und nickt knapp, als ich aufstehe und zur Tür gehe. Am Kopf der Treppe angekommen, bleibe ich stehen, um den Schal enger um meinen Hals zu legen und den Mantel zuzuknöpfen. Dann betrete ich den Fußweg. Es schneit noch immer sehr stark, zudem ist der Wind kräftiger geworden. Ausgerechnet heute muss der erste Wintersturm über Kraków hinwegziehen.
Als ich den Marktplatz überquere, höre ich plötzlich leise, schlurfende Schritte hinter mir. Abrupt bleibe ich stehen. Einer der Männer aus der Bar muss mir gefolgt sein. Vielleicht haben sie mein Gespräch mit Koch doch belauscht? Ich komme zu dem Schluss, dass es sinnlos wäre, davonzulaufen, und drehe mich um. Vor mir steht ein älterer, kahlköpfiger Mann. “Entschuldigen Sie”, sagt er rasch und blinzelt mich an. Seine Stimme klingt rau. “Ich wollte Sie nicht erschrecken.”
“Was wollen Sie von mir?”, frage ich ihn geradeheraus.
“Ich habe gehört, worüber Sie mit dem Wirt sprachen.” Sein Atem bildet in der kalten Luft kleine Wolken.
Ist das einer der Männer, die Koch als Spitzel bezeichnete? Ich kann mich nicht erinnern, ihn in der Bar gesehen zu haben. “Ich wollte … ich wollte nur …”, beginne ich zu erklären, doch er hebt eine Hand, damit ich ruhig bin.
“Sparen Sie sich Ihre Worte. Wir haben keine Zeit. Koch kann Ihnen nicht geben, wonach Sie suchen, aber ich kann es. Folgen Sie mir. Schnell.”
Er geht in die entgegengesetzte Richtung durch die ulica Mikolajska. Ich zögere. Es könnte eine Falle sein, ich könnte der Gestapo in die Arme laufen. Vertrau ihm, meldet sich eine innere Stimme. Mir bleibt auch keine andere Wahl, also folge ich ihm durch die Straße. Während wir den südwestlichen Teil der Stadt durchqueren, spricht keiner von uns ein Wort. Irgendwann wird mir klar, dass wir in Richtung des Flusslaufs gehen. Die Industriegebäude hier sind zum großen Teil verfallen, und aus der Straße wird ein unebener, schneebedeckter Pfad, der leicht zum Ufer hin abfällt. “Passen Sie auf, wohin Sie treten”, warnt er mich. Am Ende des Pfads angekommen, stehen wir vor einem dicht am Ufer gelegenen Schuppen, den man vom Hauptweg aus nicht sehen kann. Der Mann führt mich zur Tür, sagt: “Warten Sie hier”, und geht hinein. Ich stehe in der Dunkelheit und Kälte da und sehe zwischen Fluss und Straße hin und her.
Dann wird die Tür erneut geöffnet, und der Mann zieht mich nach drinnen. “Hier rein, schnell!” Die Tür fällt hinter mir ins Schloss, während ich versuche, meine Augen an das schummrige Licht zu gewöhnen. Wir befinden uns in einem winzigen Raum, es ist eiskalt und bis auf einen Stuhl und einen Tisch gibt es keine Möbel. Auf diesem Tisch liegt ein abgewetzter Lederhandschuh.
“Was machst du hier?”, fragt mich eine vertraute Stimme.
Ich drehe mich hastig um. “Marek.” In seinem dicken Mantel und mit der tief ins Gesicht gezogenen Mütze ist er kaum wiederzuerkennen.
Er schaut mich wütend an. “Du hättest nicht herkommen dürfen.”
“Ich muss mit dir reden, es ist wichtig.” Ich halte inne, da ich mir nicht sicher bin, wie viel ich in der Gegenwart des Fremden äußern kann.
“Danke, Avi”, sagt Marek zu dem kahlköpfigen Mann.
“Danke”, wiederhole ich.
Der Mann nickt und verlässt den Schuppen. Marek geht zum Fenster, hebt den zerlumpten
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