Der Kommandant und das Mädchen
Monat weniger wahrscheinlich ist, schwanger zu werden. Aber ich habe nicht so genau verstanden, was sie damit meinten, und ich wagte erst recht nicht, sie zu fragen. Ich hätte daran denken sollen, als diese Affäre mit dem Kommandanten ihren Anfang nahm. Vielleicht hätte mir Krysia helfen können, vorsichtiger zu sein, doch es ist ja alles so schnell gegangen. Außerdem bin ich die ganze Zeit nur darauf fixiert gewesen, für Alek Informationen zu beschaffen. Und nun ist es zu spät.
Krysia hat es geschafft, etwas von dem
Chulent
zu retten, und stellt drei Schälchen auf den Tisch. Einmal mehr wird mir bewusst, wie kostbar jeder Happen Essen ist. Selbst bei einer Katastrophe muss man praktisch denken. Sie nimmt einen Löffel voll
Chulent
und bläst, bis das Essen genügend abgekühlt ist, damit sie Łukasz damit füttern kann. Abwechselnd nimmt sie selbst einen Löffel, dann wieder gibt sie dem Jungen etwas, bis er satt ist. Ich sitze da und kaue das Fleisch, während ich versuche, nicht nachzudenken.
Als Krysia aufgegessen hat, wendet sie sich an mich. “Weißt du, Emma, ich war auch einmal schwanger. In Paris. Noch vor Marcin.” Erstaunt sehe ich sie an, ihr Geständnis kommt völlig überraschend. Ich wusste nicht, dass sie jemals schwanger gewesen ist, und schon gar nicht wäre mir der Gedanke gekommen, sie könnte außer Marcin noch einen anderen Geliebten gehabt haben. Ich muss daran denken, wie sie mir in den letzten Monaten immer wieder Mut zusprach, wenn ich von meiner Affäre mit dem Kommandanten erzählte, wie sie meine Schuldgefühle zu lindern versuchte, wenn ich nicht wusste, was meine Empfindungen zu bedeuten hatten.
“Wer war es?”, frage ich. Obwohl ich ihn nur von Fotos her kenne, kann ich mir Krysia nur schwer mit einem anderen Mann als Marcin vorstellen.
“Sein Name war Claude”, antwortet sie lächelnd. “Er war Schriftsteller … na ja, zumindest wollte er einer sein. Er wohnte in einem winzigen Zimmer über einem Café. Sein Vermieter ließ ihn dort spülen und den Boden wischen, weil er die Miete nicht bezahlen konnte.” Sie hält inne und betrachtet ihre Finger. Ich bemerke eine dünne Blutspur auf ihrem blassen Handrücken. Beim Aufräumen hat sie sich an einer Scherbe geschnitten. “Ich hätte nie gedacht, dass es dazu kommen würde. Ich war jung, sorglos und verliebt. Wir waren beide verliebt, jedenfalls dachte ich das. Ich war bereit, meine Familie zu verlassen, um mit Claude zusammenzuleben. Doch er sagte, das sei unmöglich, da er keine Familie ernähren könne. Außerdem würde ein Kind ihn einschränken.” Ich sehe die Trauer in ihren Augen, als sie daran zurückdenkt. “Ich hätte das Kind behalten und allein aufgezogen, der Skandal wäre mir gleich gewesen. Doch meine Eltern wollten davon nichts wissen. Die neunzehnjährige, unverheiratete Tochter des Diplomaten bekommt kein Kind. Sie drohten mir, jegliche Zahlungen einzustellen. Ich hätte ohne einen Franc in der Tasche dagesessen.”
“Oh, Krysia”, sage ich.
Sie blickt starr vor sich hin. “Ich hätte mich entscheiden können, mein Kind zu bekommen und mich allein durchzuschlagen. Irgendwie wäre mir das schon gelungen. Aber ich war jung, und ich hatte Angst. Also tat ich, was man von mir verlangte. Ich fragte meine Eltern, ob ich nicht eine Weile verreisen und das Kind anderswo bekommen könne, um es dann zur Adoption freizugeben. Doch sie weigerten sich und sagten, der Skandal wäre zu groß.” Sie steht auf und hält die verletzte Hand in eine Schüssel kaltes Wasser. “Ich ließ meine Eltern entscheiden, und dafür habe ich mein Leben lang bezahlt.” Krysia trocknet ihre Hände an einem frischen Küchentuch ab. Schließlich wendet sie sich wieder mir zu. “Verstehst du, was ich dir sagen will?” Ich nicke. Was immer sie getan hat, hatte offenbar zur Folge, dass sie keine Kinder mehr bekommen konnte. “Gut, denn ein Kind ist ein Segen.” Wie auf ein Stichwort hin kommt Łukasz zu ihr gekrabbelt und zieht an ihrem Rock.
“Aber was, wenn es das Kind des Kommandanten ist?”, frage ich. “Ich meine, was würde Jakub …” Ich bringe es nicht fertig, die Frage auszusprechen.
Krysia, die das Küchentuch um ihre Hand gewickelt hat, bückt sich und hebt leise stöhnend Łukasz hoch, dann lässt sie sich auf einen Stuhl sinken. Der Junge ist längst zu schwer geworden, als dass sie ihn noch tragen kann. “Dein Kind hat eine jüdische Mutter. Es wird also ein jüdisches Kind sein. Und es wird Jakubs
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