Der Kommandant und das Mädchen
schnell und heftig – so wie jedes Mal, wenn ich ihm nahe bin. Ich frage mich, ob er es wohl auch spüren kann. Er gibt mir einen kurzen, intensiven Kuss, dann lässt er mich gleich wieder los, sodass ich auf Abstand zu ihm gehen kann. “Also? Was sagst du?”, fragt er, als sollte mich sein Kuss auf magische Weise zum Einlenken bringen.
“Einverstanden”, willige ich umgehend ein, denn im Augenblick gibt es für mich nichts Wichtigeres, als so schnell wie möglich das Büro zu verlassen und mich auf den Weg zu Krysias Haus zu machen.
“Hervorragend. Stanislaw wird dich um acht Uhr abholen. Soll er dich jetzt nach Hause fahren?”
“Nein, vielen Dank”, lehne ich ab. “Ich muss unterwegs noch einige Besorgungen machen.”
“Gut, dann sehen wir uns heute Abend.” Er wendet sich ab und begibt sich zu seinem Schreibtisch. “Wenn du gehst, schick bitte Malgorzata zu mir, ja?”, bittet er mich.
“Jawohl, Herr Kommandant”, erwidere ich. Seine Bitte ist so routinemäßig, als wäre es ein ganz normaler Arbeitstag und als hätte es unsere Unterhaltung nie gegeben. Doch am Tonfall erkenne ich, dass dies für Malgorzata der letzte Arbeitstag in der Burg ist, weil sie mich anschwärzen wollte und sie zu viel weiß.
Im Vorzimmer ziehe ich schnell meinen Mantel an, dann nehme ich meine Tasche und gehe nach draußen in den Empfangsbereich. “Der Kommandant will Sie sprechen”, lasse ich Malgorzata im Vorbeigehen wissen. Sie weicht meinem Blick aus, springt sofort auf und eilt zur Tür. Da sie mich so früh am Morgen das Büro verlassen sieht, wird sie wohl denken, ich sei gefeuert worden und sie dürfe jetzt endlich meine Nachfolge antreten. Ich fühle mich fast zu erschlagen, um sie zu bemitleiden. Auf dem Weg nach draußen muss ich mich zwingen, dass ich nicht renne, damit ich endlich das Hauptquartier der Nazis hinter mir lassen kann.
23. KAPITEL
“D u wirst dich bei Tagesanbruch auf den Weg machen”, verkündet Krysia am gleichen Tag um zwei Uhr nachmittags.
Vier Stunden zuvor bin ich nach Hause gekommen – außer Atem, weil ich so gerannt bin – und habe ihr davon berichtet, dass der Kommandant von meiner Schwangerschaft weiß und uns alle nach Österreich schicken will. “Etwas in dieser Art habe ich bereits befürchtet”, sagte Krysia daraufhin. “Bleib hier und pass auf Łukasz auf.” Mit diesen Worten hatte sie sich schnell angezogen und war aus dem Haus gestürmt. Vor ein paar Minuten ist sie nun zurückgekehrt – genauso außer Atem wie zuvor ich – und hat mich wissen lassen, dass ich fortgehen werde.
In groben Zügen schildert sie mir den Plan. “Jemand wird herkommen und dich nach My´slenice begleiten.” Ich kenne diese Kleinstadt gut dreißig Kilometer südlich von Kraków. “Dort wird man dich bis morgen Abend verstecken, und sobald es dunkel ist, schleust man dich über die Grenze in die Tschechoslowakei und dort in ein sicheres Haus in den Bergen. Der Plan ist riskant und nicht annähernd so gut wie das, was in einem Monat möglich gewesen wäre, aber uns bleibt keine andere Wahl.”
“Es tut mir leid”, erwidere ich, folge ihr in die Küche und setze mich auf einen Stuhl.
Sie winkt ab. “Es führt zu nichts, sich über Dinge Gedanken zu machen, die man nicht ändern kann. Wichtig ist, dass wir dich von hier wegbringen.” Sie füllt Wasser in den leeren Teekessel. “Schläft Łukasz?”
“Ja. Was ist mit Jakub? Wird er mit mir gehen?”
Mit einem hilflosen Gesichtsausdruck sieht Krysia zu mir. “Emma, ich will ehrlich sein. Es sieht nicht so aus, als könnte das klappen. Ich habe nichts weiter über seinen Aufenthaltsort und seinen Zustand erfahren. Natürlich hatte ich gehofft, ihr könntet das Land gemeinsam verlassen, aber nachdem du so plötzlich in Sicherheit gebracht werden musst, ist es schlicht unmöglich, noch irgendetwas zu arrangieren. Vielleicht wird er in einigen Monaten in der Lage sein, dir zu folgen”, fügt sie leise hinzu.
Dann werde ich also ohne Jakub aufbrechen. Einen Moment lang überlege ich, einfach hierzubleiben. “Du musst fortgehen”, sagt Krysia, die meine Gedanken zu lesen scheint. Sie stellt den Kessel auf den Ofen, dann dreht sie sich wieder zu mir um. “Ich kenne meinen Neffen, und ich weiß, das Wichtigste ist für ihn, dass du mit deinem Kind in Sicherheit bist.”
Wenn das stimmt, warum ist er dann nicht bei mir? Wohl zum hundertsten Mal frage ich mich, warum er sich für die Bewegung engagiert, anstatt an meiner Seite zu
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